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Das Kunsthaus Zürich an einem frühen Nachmittag: Eine Gruppe von Besucherinnen und Besuchern sitzt vor dem Bild eines Altmeisters. Dargestellt ist die Befreiung des Apostels Petrus. Ein Engel betritt einen Kerker und befreit den Heiligen. Auf die Frage der Moderatorin, was es denn da zu sehen gäbe, kommen einzelne Wortmeldungen. «Petrus hat eine Frau, so sauber, wie er angezogen ist», sagt ein älterer Herr. «Der Engel nimmt den alten Mann mit – sucht neue Möglichkeiten», wendet die weisshaarige Dame zu seiner Rechten ein.
Es entsteht eine Pause. «Das Licht zeigt vielleicht den Weg», meint eine andere ältere Dame. Ein ehemaliger Staatsbeamter gibt in gewundenen Formulierungen zu bedenken: «Selbstverständlich könnte man dafür einstehen. Aber hier ist es Nacht». Schliesslich sagt eine Frau nach langem Zögern: «Er könnte Petrus heissen, ist 85 Jahre alt». Und so spinnt sich das Gespräch fort. Die Bildbetrachtung geht weiter.
Mit respektvollen Blicken huschen andere Museumsbesucher an der Gruppe vorbei, in der Meinung, dass hier interessierte Kunstkenner sprechen, zumal eine Person alles, was gesagt wird, mitschreibt.
Der Schein trügt: Die Gruppe vor dem Bild sind an einer Demenz erkrankte Menschen mit ihren Angehörigen. Als Moderatorin leitet die Psychologin Karin Wilkening das Gespräch, eine Protokollantin schreibt alles auf. Wilkening stellt mit Geschick offene Fragen. Auf die Frage «Wie könnte es hier riechen?», springt das Gespräch der Gruppe wieder an.
In der schriftlichen Zusammenstellen wirken die Wortmeldungen der Demenzkranken originell und erinnern an Kunstwerke von Art brut-Künstlern – nur dass hier nicht gemalt, sondern gesprochen wurde.
Organisiert werden diese Kunstgespräche mit Demenzkranken vom Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich. In einem Pilotprojekt haben bis jetzt acht Besuche stattgefunden, im Herbstsemester werden sie fortgesetzt. Die nächste Kunst-Sitzung ist am 17. September. Ziel ist es, andere, neue Zugänge zu Demenzkranken zu finden.
Diese fühlen sich in diesem Rahmen offenkundig wohl. Denn es ist nicht von Bedeutung, ob und wie weit das Gedächtnis mitspielt oder ob man die richtigen Worte findet. Das Schwergewicht liegt auf dem Potenzial, das in den Menschen steckt. Die Geschichten, die aus der Bildbetrachtung entstehen, nehmen Demenzerkranke und ihre Angehörigen mit nach Hause. Sie können wieder vorgelesen werden und häufig sind die Erkrankten stolz auf «ihren» Beitrag.
Museumsbesuche für Menschen mit Demenz und deren Angehörige haben sich bereits andernorts bewährt. Vorreiter war das MOMA in New York, gefolgt vom Pallazzo Strozzi-Museum in Florenz. Das Konzept geht zurück auf die amerikanische Kulturanthropologin Anne Basting. Sie förderte bereits vor Jahren die Teilhabe von Demenzerkrankten an kreativen Aktivitäten. Mit der von ihr erfundenen «TimeSlips-Technik», einer Storytelling-Methode, die eine Moderation mit offenen Fragen vorsieht, können kreative Gruppenprozesse in Gang gesetzt werden. Eine Demenz mit Wortfindungsstörungen und Gedächtnisproblemen stellt keine Teilnahmebarriere bei diesen Gesprächen dar.
Die Psychologin Karin Wilkening leitet die Kunstgespräche in Zürich. Sie hat sich die TimeSlips-Technik angeeignet und viele Erfahrungen in verschiedenen Alterseinrichtungen gesammelt. Nun arbeitet sie zusammen mit der Gerontopsychologin Sandra Oppikofer vom Zentrum für Gerontologie der UZH an einem wissenschaftlichen Projekt, dass die Wirkung der Museumsbesuche auf die Kranken und deren Angehörige untersucht.
Nach den guten Erfahrungen mit den Museumsbesuchen in einer Pilotphase Anfang dieses Jahres wird Sandra Oppikofer ab Herbst 2013 in einer Studie das Projekt, das unter dem Namen «Aufgeweckte Kunst-Geschichten – mit Demenz ins Museum» läuft, wissenschaftlich evaluieren. Sie befragt dazu sowohl die Demenzkranken als auch die Angehörigen und versucht zu eruieren, wie sich die Museumsbesuche auf das Wohlbefinden auswirken. Sollte die Studie zu positiven Ergebnissen führen, könnte dies das Bild der Demenz in der Öffentlichkeit positiv verändern, hofft die Forscherin.