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Human enhancement

Der aufgemotzte Mensch

Vor allem zu Beginn eines Neuen Jahres streben viele Menschen danach, ihre Fähigkeiten zu verbessern. Doch wie weit dürfen sie dabei gehen? Der Philosoph Jan-Christoph Heilinger lotet die Grenzen des «Human enhancement» aus.
Michael T. Ganz
Kraftprotz: Zum Human enhancement gehören auch Eingriffe, die unsere physische Leistungsfähigkeit erhöhen.

Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das sich dagegen sträubt, das zu sein, was es ist», schrieb Albert Camus 1951 in seinem Essay «L’Homme révolté». Camus wusste damals noch nicht, dass dieses Geschöpf einst auf die Idee kommen würde, sich Nachtsichthilfen, Hörcomputer und Datenchips zu implantieren, weil es mit seinen angeborenen Fähigkeiten unzufrieden ist. Könnte uns Camus sehen, wie wir heute unablässig auf unsere Smartphone-bewehrten Hand-flächen starren, um ihnen scheinbar lebensnotwendige Informationen zu entnehmen, er sähe sich zweifellos bestätigt. Wir sind nicht mehr weit vom Cyborg, dem Mischwesen von Körper und Technik, entfernt.

Dabei ist «Human enhancement» – die Verbesserung des Menschen durch den gezielten Einsatz von Techniken – ein uraltes Phänomen. Schon die Höhlenbewohner trachteten danach, Bären nicht mehr von blosser Hand zu erlegen und erfanden den Speer als künstliche Erweiterung des menschlichen Körpers. Auch haben Menschen seit jeher versucht, ihr Glücksgefühl und ihre Leistungsfähigkeit durch den Konsum von Stimulanzien zu steigern. «Das geht von der Betelnuss über Alkohol und Kaffee bis zum Ritalin», sagt Jan-Christoph Heilinger.

Grenzen des Mensch-Seins

Heilinger arbeitet als Postdoc am Ethik-Zentrum der Universität Zürich. Er studierte Philosophie und Literaturwissenschaften und forschte an Hochschulen in Deutschland, Frankreich, den USA und der Schweiz. Was sind wir für Wesen? Die Frage, die Heilinger von jeher umtreibt, führte ihn zwangsläufig an die – philosophischen – Grenzen des Mensch-Seins und damit zum «Human enhancement». Für seine Promotionsschrift über den Zusammenhang von Anthropologie und Ethik erhielt er 2009 den Deutschen Studienpreis. «Es gibt in der Forschung keinen Konsens darüber, was alles zu Human enhancement gehört», sagt Heilinger. Mit dem Begriff sind psychische und physische Verbesserungen des Menschen mit biotechnologischen Mitteln gemeint, und zwar zu Zwecken, die über eine rein therapeutische Hilfe hinausgehen.

Fragwürdiges Leistungsdenken

Entwicklungen auf dem Gebiet des «Human enhancement» finden sich heute vor allem in drei Bereichen: Eingriffe ins Gehirn, die unsere Hirnleistung oder unsere psychische Stimmung verbessern; Eingriffe in den Körper, die unsere physische Leistungsfähigkeit erhöhen, also Doping etwa; und Eingriffe ins menschliche Erbgut, die es uns unter anderem erlauben sollen, länger zu leben. «Alles durchaus legitime Ziele, die jeder Mensch hat», sagt Heilinger. «Wer will denn schon unglücklich sein und früh sterben? Die Frage ist nur: Darf man diese Ziele mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln anstreben, oder sind gewisse Mittel – etwa jene der Biotechnologie – aus ethischer Sicht fragwürdig?»

Wie gesagt, neu ist die Debatte nicht. Früher motzte sich der Mensch mit Speer und Betelnüssen auf, heute benutzt er dazu feinmechanische, elektronische und chemisch-synthetische Mittel. Neu, sagt Heilinger, sei die Tatsache, dass solche Eingriffe wesentlich spezifischer gerieten. So sucht man beispielsweise nach Möglichkeiten, die Konzentrationsfähigkeit in Prüfungssituationen oder die Immunisierung gegen Krankheitserreger zu fördern. «Und das», meint Heilinger, «geschieht nicht nur, um unser Glücksgefühl zu erhöhen.

Gezielte Eingriffe am Menschen

Es ist oft auch ein Resultat unseres Leistungsdenkens, ein weiterer Schritt hin zur Leistungsgesellschaft, in der jeder und jede stets optimal zu funktionieren hat.» Hier beginnen denn auch die Probleme. Mit biotechnologischen Mitteln liesse sich die totale Leistungsgesellschaft womöglich erreichen. Doch wollen wir Zustände, wie Science-Fiction-Filme – etwa der Genmanipulations-Thriller «Gattaca» von 1997 – sie uns vorspielen? Zu bedenken auch: Um sozialen Wandel und eine Verbesserung der Lebensumstände zu erreichen, ergriff man früher gesellschaftliche Massnahmen, schuf beispielsweise demokratische Institutionen; beim «Human enhancement» indes wird der einzelne Mensch Gegenstand gezielter Eingriffe.

Es sind nicht mehr nur gesellschaftliche Entwicklungen wie die industrielle Revolution, die die Menschheit verändern. Es ist das Individuum als Teil der Gesellschaft, das verändert werden kann. «Einerseits ist das ungeheuer spannend, weil so viele Wünsche erreichbar scheinen», sagt Heilinger, «anderseits macht es auch Angst, weil die Folgen solcher Veränderungen unkalkulierbar sind. Wenn wir plötzlich 200 Jahre alt werden, wirft das den Arbeitsmarkt, das Versicherungswesen, ja unser gesamtes Gesellschaftssystem durcheinander.»

Gedopte Konkurrenz

Schon seit den Fünfzigerjahren machen sich Ethiker deshalb Gedanken zum «Human enhancement». Erstens gibt es Risikoüberlegungen: Hirn und Erbgut des Menschen sind hyperkomplexe Strukturen; jeder Eingriff ist heikel, da wir mögliche Nebenwirkungen nicht abschätzen können. Zweitens gibt es Gerechtigkeitsfragen: «Human enhancement» erscheint zunächst als purer Luxus; Geld in Entwicklungen zu investieren, die Gesunde gesünder, Hungrige aber nicht weniger hungrig machen, ist moralisch fragwürdig. «Human enhancement ist etwas für Wohlhabende», sagt Heilinger, «die Krankenkassen werden solche Eingriffe wohl nicht bezahlen. Und die verbesserten Menschen schnappen den unverbesserten dann noch die guten Jobs weg.»

Drittens stellt sich aus ethischer Sicht auch die Frage der freien Entscheidung. Zu den gängigen Instrumenten des «Human enhancement» wie Aufputsch- oder leistungssteigernden Mitteln greift meist, wer unter Karriere-, Wettbewerbs- oder Prüfungsdruck steht. Eine Studie an der Universität Zürich ergab, dass die Einnahme von Ritalin und Antinarkoleptika bei Studierenden längst keine Ausnahme mehr ist. Die Verbreitung von «Human enhancement» könnte uns also gegen unseren Willen dazu zwingen, mit der gedopten Konkurrenz mithalten zu müssen.

Den Menschen definieren

Die drei ethischen Kriterien – Risiko, Gerechtigkeit und Autonomie – seien zweifellos praktisch und brauchbar, meint Jan-Christoph Heilinger. Beispiel: Mein Kind hat Aufmerksamkeitsdefizite; eine Option ist die Medikation mit Methylphenidat, gemeinhin als Ritalin bekannt. Ich frage mich nun: Hat Ritalin gefährliche Nebenwirkungen? Fördert es gar kriminelle Neigungen? Und: Ist es gerecht, wenn mein Kind Ritalin bekommt, seine Schulkameraden aber keines? Wie verändert sich unsere Gesellschaft, wenn wir soziale Probleme medizinisch lösen? Schliesslich: Lasse ich mich bei meinem Entscheid vom schulischen Leistungssystem unter Druck setzen? Handle ich autonom?

Um abzuwägen, wie weit wir gehen dürften, brauche es neben ethischen noch weitere Argumente, sagt -Heilinger – anthropologische Argumente nämlich, die den Menschen und das, was ihn ausmacht, beschreiben und daraus Grenzen ableiten, die garantieren, dass wir die Schnur nicht überspannen, das Mensch-Sein nicht verlassen. Allerdings ist die anthropologische Definition des Menschen keine einfache Sache, denn Anthropologie kennt keine Statik. Der Mensch und seine Natur sind vielmehr der Evolution unterworfen. «In den westlichen Ländern hat sich die Lebenserwartung im letzten Jahrhundert von 40 auf 80 Jahre verdoppelt», gibt Heilinger zu bedenken. «Weshalb sollte man nicht 160 Jahre alt werden können? Solche Verdoppelungen scheinen für unser Mensch-Verständnis ja kein Problem zu sein.»

Was Heilinger damit sagen will: Keine Biologin, kein Soziologe, keine Psychologin und kein Philosoph kann ein für allemal festlegen, was menschlich ist und was nicht. «Wir müssen selber sagen, wer wir sind», meint Heilinger, «und zwar laufend und immer wieder.»