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Was wiegt mehr, der Schutz der Religion vor Diffamierung oder der Schutz von Menschenrechten wie der Meinungsfreiheit? Die Frage wird zur Zeit in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Der Rechtswissenschaftler Lorenz Langer vom Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) hat die Frage ausgehend von der 2005 geführten Debatte um die dänischen Mohammed-Karikaturen in seiner Dissertation erörtert.
Für seine aktuelle und politisch relevante Analyse und den hohen wissenschaftlichen Standard seiner Arbeit erhielt Lorenz Langer den SIAF Award 2013. Das Schweizerische Institut für Auslandforschung (SIAF) und die Firma Ernst & Young verleihen den mit 10'000 Franken dotierten Preis jährlich für herausragende Dissertationen, Master- und Lizentiatsarbeiten der UZH und der ETH Zürich. Die Auszeichnung wurde Lorenz Langer am letzten Donnerstag zum Auftakt der Veranstaltungsreihe «Geopolitik im Umburch» überreicht.
Die Laudatio hielt der Vorsitzende der Jury, Georg Kohler, emeritierter UZH-Professor für Politische Philosophie.
Die Fragestellung von Lorenz Langer ist brisant, weil muslimisch geprägte Staaten immer wieder darauf drängen, im Rahmen der UNO internationale Abkommen gegen die «Diffamierung von Religionen» abzuschliessen. Westliche Staaten haben dies bisher mit Verweis auf die Meinungsäusserungsfreiheit erfolgreich abgewehrt.
Zu Recht, argumentiert Lorenz Langer in seiner Dissertation und verweist auf das Ziel internationaler Menschenrechtsabkommen. Das Völkerrecht soll eine tragfähige Friedensordnung darstellen, innerhalb derer Spannungen und Konflikte moderiert werden können, die sich aus unterschiedlichen religiösen Kulturen und Ideologien ergeben.
Würde eine internationale Ordnung hingegen nach religiösen Kriterien errichtet, würde sie an ihren inneren Widersprüchen scheitern: «Religionen stellen kein universelles Wertesystem dar, das als Grundlage einer internationalen Rechtsordnung dienen kann», schreibt Langer in seiner Dissertation. Die Menschenrechte eigneten sich – trotz ihrer historischen Bedingtheit – besser als Fundament des Völkerrechtes.
Die Veranstaltungsreihe «Geopolitik im Umbruch» geht in vier Vorträgen den Verschiebungen im globalen Kräftespiel und ihren Auswirkungen nach. Herfried Münkler, Professor für Politikwissenschaften an der Humboldt Universität Berlin, machte den Auftakt mit seinem Referat «Raum im 21. Jahrhundert – über geopolitische Umbrüche und Veränderungen». Als das charakteristische Phänomen unserer Zeit erachtet er den Aufstieg nichtterritorialer Politikakteure – etwa Terrornetzwerke wie al-Qaida, private Militärdienstleister und Grossspekulanten.
Münkler erkennt darin ein Zeichen dafür, dass die Epoche zu Ende geht, in der Territorialstaaten das Politikmonopol für sich beanspruchen konnten. Die Territorialstaaten verlieren an Bedeutung und werden gleichzeitig durch nicht-territoriale Akteure zunehmend bedroht.
Die Ursache dafür sieht Münkler in der sich gegenwärtig vollziehenden «Raumrevolution». In ihr verlieren geographische Grenzen, die Territorien umreissen, an Bedeutung. Es gelte nicht mehr, ein bestimmtes Gebiet zu beherrschen, sondern Ströme zu kontrollieren: Waren-, Rohstoff- oder Menschenströme sowie Informations- und Kommunikationsströme, die nicht mehr eindeutig im realen Raum zu lokalisieren sind.
Als imperiale, also nicht nur ihr eigenes Territorium kontrollierende Macht könne sich künftig nur etablieren, wer die globalen Kommunikationsräume beherrsche, prognostizierte Münkler: «Die Sicherung von Kommunikationsräumen und Informationszentren ist keine beiläufige Angelegenheit, sondern an die Stelle dessen getreten, was früher die Sicherung des Territoriums im Sinne von Grund und Boden war.»
Als Beleg führte er die NSA-Affäre an. Dank den Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden sei ein Teil des US-Überwachungs- und Kontrollregimes sichtbar geworden. Es könne als Antwort verstanden werden auf Akteure, die nicht mehr aus einem geographischen Territorium heraus handeln und deshalb nicht über Androhung militärischer Gewalt in Schach gehalten werden können. Anders als etwa während des Kalten Krieges könne die Drohung im Falle des «war of terror» nicht mehr gegen ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Weltregion gerichtet werden.
Münkler prophezeite für die Zukunft einen «permanenten Kleinkrieg gegen entterritorialisierte Akteure» wie Selbstmordattentäter oder Hacker. Grundlage diese Krieges sei die Informationsbeschaffung, wie sie die NSA betreibe. Der Europäischen Union gab Münkler den Rat, sich als globaler Akteur zu etablieren und die imperiale Rolle mit zu übernehmen – die sich neu eröffnenden Räume also mit zu besetzen.