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Terroristen töten?

Mit Drohnenangriffen töten die USA regelmässig mutmassliche Terroristen. Lässt sich das moralisch rechtfertigen? «Meist nicht», argumentiert Anna Goppel, Oberassistentin am Ethik-Zentrum der UZH in ihrem Essay.
Anna Goppel
Anna Goppel: «Das gezielte Töten von Terroristen lässt sich über Notwehr nicht rechtfertigen. Denn gezielte Tötungen werden nicht angesichts gegenwärtiger Angriffe ausgeführt.»

Kürzlich fragte ein amerikanischer Bürger Barak Obama in einer Onlinediskussion, wie er die von ihm regelmässig bewilligten Drohnenangriffe auf mutmassliche Terroristen vor dem Hintergrund der vielen dadurch verursachten zivilen Opfer bewerte. Obama versicherte, es gebe nicht viele zivile Opfer, die Drohneneinsätze seien gegen aktive Terroristen gerichtet, und das Programm werde an «kurzer Leine» gehalten.

Interessant an Obamas Antwort ist nicht, dass die USA in ihrem Kampf gegen Terrorismus regelmässig gezielte Tötungen durchführen. Interessant ist jedoch die Beiläufigkeit, mit der sich Obama selbst erstmals zu gezieltem Töten bekennt, und die implizierte Überzeugung, dass er sich für diese Praxis nicht rechtfertigen müsse. Er betont die organisierte und kontrollierte Durchführung, stellt jedoch weder in Frage, dass bestimmte mutmassliche Terroristen überhaupt getötet werden dürfen, noch, dass möglicher Schaden an unbeteiligten Dritten gezielte Tötungen verböte.

Begrenzte Kritik

Obamas Einstellung scheint verbreitet. Die Tötung von Osama Bin Laden beglückwünschten verschiedene Regierungen. Dass sie vorher den genauen Todeshergang hinterfragt hätten, wurde nicht bekannt. Das heisst, auch für den Fall, dass es eine gezielte Tötung war, sprachen sie ihre Zustimmung aus.

Ebenso hielt sich die Kritik der Bürger in den meisten Ländern in Grenzen. Zwar gab es kritische Stimmen, in erster Linie wurde jedoch Verständnis geäussert und teils gar Enthusiasmus. Teilweise beruht diese Einstellung sicherlich auf der besonderen Verwerflichkeit von Terrorismus: Deshalb scheint vielen die Tötung von Terroristen angemessen und gezieltes Töten, das begrifflich Präzision suggeriert, eine passende Methode.

Nicht zuletzt scheint ein gewisser Gewöhnungseffekt zur Akzeptanz des gezielten Tötens beizutragen. Trotz und möglicherweise wegen der wiederkehrenden Berichte über gezielte Tötungen, insbesondere seitens der USA und Israels, löst die Praxis immer weniger Kritik und Diskussionen aus.

Die Praxis sieht anders aus

Umso wichtiger ist es, die moralische Vertretbarkeit gezielten Tötens mutmasslicher Terroristen zu diskutieren. Denn, so meine Überzeugung, gezielte Tötungen lassen sich zwar unter spezifischen Umständen moralisch rechtfertigen, auf tatsächliche Fälle trifft dies aber in der Regel nicht zu.

Was gilt es zu beurteilen? Unter gezieltem Töten von mutmasslichen Terroristen ist deren vorsätzliche Tötung durch staatliche oder staatlich beauftragte Akteure zu verstehen. Die angegriffene und spezifisch ausgewählte Person befindet sich nicht in staatlichem Gewahrsam und ist im Augenblick der Tötung nicht dabei, einen Anschlag auszuführen.

Häufig verweisen Verteidiger dieser Praxis zwar darauf, dass getötet würde, um einen gegenwärtigen Angriff zu verhindern. Empirische Fälle bestätigen dies jedoch nicht, und Medien und Menschenrechtsorganisationen berichten von Listen mit Personen, die unabhängig von unmittelbar bevorstehenden Angriffen getötet werden sollen.

Genüge tun?

Wie liesse sich diese Praxis rechtfertigen? Immer wieder werden gezielte Tötungen mit der Aussage kommentiert, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde und die getötete Person ihre gerechte Strafe erhalten habe. Als Rechtfertigung eignet sich der Hinweis auf Bestrafung jedoch nicht: Strafe verlangt nach einem Urteil, das auf einer angemessenen Berücksichtigung der Tat und der Tatumstände basiert, und ein solches Urteil kann nur durch ein gerechtes Gerichtsverfahren erreicht werden.

Selbst wenn entgegen der heutigen Praxis bei gezielten Tötungen nicht mehr politische Akteure und das Militär, sondern unabhängige Gerichte darüber entscheiden würden, wer getötet werden soll, fehlten diesen Entscheidungen wesentliche für ein gerechtes Urteil ausschlaggebende Aspekte, wie die Präsenz des mutmasslichen Verbrechers, seine angemessene Verteidigung oder die Möglichkeit der Berufung.

Erfolgsversprechender erscheint es, gezielte Tötungen als Verteidigungshandlungen zu rechtfertigen. Denn jeder Mensch hat zwar ein Recht, nicht in seinem Leben angegriffen zu werden, und wir verurteilen dementsprechend Angriffe auf Leib und Leben. In bestimmten Verteidigungssituationen erkennen wir Tötungshandlungen jedoch als gerechtfertigt an, nämlich in Notwehr beziehungsweise Nothilfe und im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen.

Über Notwehr nicht zu rechtfertigen

Ausgeschlossen ist es aber, das gezielte Töten von mutmasslichen Terroristen über Notwehr beziehungsweise Nothilfe zu rechtfertigen. Menschen dürfen sich zwar selbst mit tödlicher Gewalt verteidigen und auch von Dritten – inklusive staatlichen Akteuren – verteidigt werden, wenn sie gegenwärtig zu Unrecht einem sehr schwerwiegenden Angriff ausgesetzt sind und dieser nur durch tödliche Gewalt abgewehrt werden kann: Dadurch, dass der Angreifer einen anderen Menschen in seinem Recht, nicht angegriffen zu werden, verletzt, verliert er selbst für diese spezifische Situation dieses Recht.

In Notwehr beziehungsweise Nothilfe ist das Töten des Angreifers also moralisch unter Umständen gerechtfertigt, und dies scheint über die Folgen von Rechtsverletzungen erklärt werden zu können. Das gezielte Töten von Terroristen lässt sich über Notwehr beziehungsweise Nothilfe jedoch nicht rechtfertigen. Denn gezielte Tötungen werden nicht angesichts gegenwärtiger Angriffe ausgeführt.

Man könnte einwenden, dass das Kriterium der Gegenwärtigkeit eines Angriffs im Zusammenhang mit Terrorismus anders auszulegen oder verzichtbar sei: Wenn man wisse, dass ein Terrorist in weitere Anschläge involviert sein wird, und wenn feststünde, dass eine Festnahme nicht möglich ist, müsse man sich schon vorher wehren dürfen.

Ohne hellseherische Kräfte

Hätten wir hellseherische Kräfte und wüssten, dass eine Person eine andere angreifen wird, dass der Angriff tödlich ausgehen könnte und dass der Angriff nur verhindert werden kann, wenn man den Angreifer bereits eine Woche vorher tötet, scheint dies zunächst plausibel: Der Angreifer verliert sein Recht, in Verteidigung nicht angegriffen zu werden, weil er eine andere Person angreifen wird. Und sofern dies notwendig und verhältnismässig ist, darf er im Rahmen der Verteidigungshandlung getötet werden.

In der realen Welt, in der sich Umstände und Pläne ändern und hellseherische Kräfte fehlen, ist jedoch bis zu dem Moment, zu dem der Angriff gegenwärtig ist, weder entschieden noch von aussen ausreichend ersichtlich, dass dieser stattfinden wird und nur durch Tötung abgewehrt werden kann. Erst dann, wenn der Angreifer im Begriff ist, den Angriff auszuführen, sind wir berechtigt anzunehmen, dass er sein Recht, nicht in Verteidigung angegriffen zu werden, nicht mehr geltend machen kann und seine Tötung notwendig und verhältnismässig ist.

Als Kombattanten definieren?

Es bleibt die Möglichkeit, gezieltes Töten von mutmasslichen Terroristen als Verteidigungshandlung innerhalb von Kriegen zu rechtfertigen. Israel und die USA etwa vertreten in diesem Sinn die Ansicht, dass sie sich im Krieg mit Terroristen befänden, diese Kombattanten seien und entsprechend wie Kombattanten in konventionellen Kriegen gezielt getötet werden dürften.

Diese Rechtfertigungsstrategie beruht auf einer überzeugenden Überlegung: Auch im Krieg darf nicht willkürlich getötet werden. Kombattanten jedoch, das heisst diejenigen, die Teil der gegnerischen Bedrohung sind, dürfen unter bestimmten Umständen gezielt angegriffen werden, und dies unabhängig davon, ob von ihnen im Moment der Tötung eine konkrete gegenwärtige Bedrohung ausgeht.

Wie bei der Notwehr in Friedenszeiten ist das Recht, Gewalt gegen Kombattanten auszuüben, in der Gewalt begründet, die von diesen ausgeht. Anders als bei Notwehr liegen der Rechtfertigung von Gewalt in der Kriegsethik meiner Überzeugung nach aber kollektivierende Überlegungen zugrunde: Der gesamte gegnerische Gewalteinsatz ist begründend für die kriegerischen Verteidigungshandlungen, und jeder, der Teil dieser andauernden gegnerischen Bedrohung ist, ist grundsätzlich ein legitimes Angriffsziel – auch wenn von ihm persönlich zu einem bestimmten Zeitpunkt keine gegenwärtige Bedrohung ausgeht und vorausgesetzt, es darf die gegnerische Gewalt überhaupt mit Gewalt bekämpft werden.

Anspruchsvolle Bedingungen

Das kriegsethische Argument, Terroristen dürften als Kombattanten gezielt getötet werden, stützt sich also auf nachvollziehbare kriegsethische Überlegungen. Es müssen jedoch zwei Bedingungen erfüllt sein, damit diese Überlegungen auch auf die gezielte Tötung von Terroristen anwendbar sind: Die relevanten Konflikte mit Terroristen müssen Kriege sein und alle gezielt angegriffenen mutmasslichen Terroristen müssen in diesem Konflikt Kombattanten sein.

Theoretisch sind diese Bedingungen erfüllbar. Terrorismus ist eine Art der Gewaltanwendung, und ein (auch konventioneller) Krieg, bei dem eine Kriegspartei systematisch auf terroristische Gewalt setzt, könnte als Krieg gegen Terroristen bezeichnet werden. Angriffe auf Mitglieder der gegnerischen Streitkräfte könnten dann als Angriffe auf Terroristen betrachtet werden.

Die Konflikte, an die wir im Zusammenhang mit Terrorismus denken, sehen jedoch in der Regel anders aus, und die genannten Bedingungen sind mit Blick auf diese Konflikte sehr anspruchsvoll. Dass eine Verbrecherorganisation dem Staat den Krieg erklärt hat – eine Begründung, die in aktuellen Konflikten immer wieder Erwähnung findet, bedeutet noch nicht unbedingt, dass tatsächlich eine Kriegssituation vorliegt. Im Gegenteil.

Terroristische Organisationen wie die RAF haben ihren Kampf immer wieder als Krieg bezeichnet, und die betroffenen Staaten haben den Kriegszustand gerade nicht anerkannt. Auch die immer wieder herangezogene Begründung, dass ein bestimmter Konflikt mit Terroristen deshalb als Krieg anzuerkennen sei, weil die terroristische Organisation schwere Gewalt einsetzte und der Staat dieser mit herkömmlichen Rechtsdurchsetzungsmitteln nicht Herr werde, ist nicht überzeugend.

Krieg gegen die Mafia?

Begründeten diese Faktoren einen Krieg, müssten wir die ebenso unplausible Aussage akzeptieren, dass bei gewissen Formen innerstaatlicher Kriminalität ein Kriegszustand vorläge – man denke etwa an die Mafia in Süditalien zum Zeitpunkt ihrer grössten Macht.

Um von Krieg sprechen zu können, muss meines Erachtens hinzukommen, dass keine der am Konflikt beteiligten Parteien faktisch rechtliche Autorität – diese kann auch via Drittstaaten bestehen – über die andere Partei besitzt. Am eindeutigsten sieht man dies an konventionellen zwischenstaatlichen Konflikten, es trifft jedoch auch auf Bürgerkriege zu: Keine der Konfliktparteien verfügt über die rechtliche Autorität, die es ihr ermöglichen würde, mit gewöhnlichen Mitteln der Rechtsdurchsetzung vorzugehen.

Nur wenn aufgrund dieser «Beziehung» die Bekämpfung andauernder Gewalt durch Mittel der Rechtsdurchsetzung nicht möglich ist, scheint der Kriegsbegriff und die Anwendung kriegsethischer Überlegungen angemessen. Bereits die erste Bedingung (das Vorliegen eines Kriegszustands) lässt das Argument, Terroristen dürften als Kombattanten gezielt getötet werden, wenig überzeugend erscheinen.

Da das Argument aber auch Anwendung finden kann, wenn sich Terroristen an einem bestehenden Krieg beteiligen, ist zum Kombattantenstatus Folgendes zu bemerken: Nicht jeder, der sich mit Gewalt an einem Krieg beteiligt, gehört automatisch zur Gruppe der Kombattanten. Es braucht hierzu mehr als die punktuelle Beteiligung an den Kampfhandlungen. Sicherlich sind diejenigen Kombattanten, die in organisierten Einheiten die Kampfhandlungen befehlen, ausführen und organisieren; die in einer Funktion leben, die sie zum zentralen Teil jener Bedrohung macht, die den Einsatz von verteidigender Gewalt rechtfertigt.

Eine Person wird jedoch noch nicht zum Kombattanten, wenn sie sich einige Male an den Kampfhandlungen beteiligt. Sie darf zwar ebenfalls bekämpft werden, die Verteidigungshandlungen müssen jedoch unter Bezugnahme auf das individuelle und aktuelle Verhalten dieser Person gerechtfertigt werden. Die kollektivierenden Überlegungen, die Tötungshandlungen zu einem Zeitpunkt moralisch vertretbar machen, zu dem von einer Person selbst keine unmittelbare Gefahr ausgeht, sind hierfür nicht einschlägig.

 Eine abschliessende Verteidigung meiner These, dass sich die heutige Praxis gezielter Tötungen von mutmasslichen Terroristen nicht rechtfertigen lässt, würde eine umfassendere Begründung erfordern. Es sollte hier jedoch erstens klar geworden sein, dass die zentralen Rechtfertigungsstrategien schwerwiegenden Einwänden ausgesetzt sind. Zweitens sollte auch deutlich geworden sein, dass gezielte Tötungen in der Regel bereits aufgrund der Tötung der anvisierten Person moralisch falsch sind. Es ist offensichtlich, dass der Schaden, den gezielte Tötungen von mutmasslichen Terroristen häufig auch unbeteiligten Dritten zufügen, diese Rechtfertigung weiteren Hürden aussetzt. Aber auch ohne diesen Faktor ist die Gewöhnung an gezielte Tötungen selbst moralisch problematisch.

Im Februar 2013 erscheint im Verlag Walter De Gruyter von Anna Goppel das Buch «Killing Terrorists. A Moral and Legal Analysis».