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In der Schweiz müssen sich Personen ab dem 70. Altersjahr einer ärztlichen Kontrolle zur Fahreignung unterziehen. Getestet werden insbesondere das Sehvermögen und der allgemeine körperliche Zustand. Seltener untersucht werden hingegen die kognitiven Funktionen wie zum Beispiel Aufmerksamkeit, Informationsverarbeitung oder die geistige Flexibilität. Dies, obschon solche Funktionen im Alter zunehmend eingeschränkt sind und mindestens ebenso wichtige Voraussetzungen für sicheres Fahren darstellen.
Ältere Menschen passen ihre Fahrweise bewusst oder unbewusst ihren abnehmenden kognitiven Ressourcen an. Sie vermeiden Fahrten im Regen, nachts oder zu Stosszeiten und wählen ruhigere Strecken, die sie gut kennen. Damit erhöht sich zwar ihr Sicherheitsgefühl. Aber dass dadurch das Unfallrisiko kleiner wird, stellt Gianclaudio Casutt, Doktorand am Psychologischen Institut, Abteilung Neuropsychologie, in Frage. Im Gegenteil: Gemäss Studien ist die relative Unfallhäufigkeit, das heisst, Unfälle pro gefahrene Kilometer in einer Altersgruppe, bei älteren Personen mindestens ebenso hoch wie bei Neulenkern.
Mit zunehmender Fahrpraxis laufen die meisten Handlungen beim Fahren weitgehend automatisch ab. Nimmt die Leistungsfähigkeit des Gehirns altersbedingt ab, werden solch starre Automatismen problematisch. «Wenn beim Fahren etwas Unerwartetes passiert, ist die Person möglicherweise in ihrem automatisierten Verhalten 'gefangen' und kann nicht korrekt und schnell reagieren – ein Unfall kann die Folge sein», sagt Gianclaudio Casutt. «Die Ursache des mangelnden Reaktionsvermögens liegt im Gehirn. Die Gehirnareale, welche für schnelles und flexibles Verhalten sorgen, sind nicht mehr ausreichend gut vernetzt», sagt Casutt. Diese Vernetzung kann durch gezieltes Training gestärkt werden, davon ist der Neuropsychologe überzeugt.
Deshalb untersucht er in seiner Dissertation die Wirkung eines von ihm zusammengestellten Trainings im Fahrsimulator, das die kognitiven Funktionen und die Flexibilität stärken, und so die Fahrsicherheit von älteren Personen erhalten soll.
Dafür hat er eine Studie mit Autofahrerinnen und- fahrern über 65 Jahren durchgeführt. Die Teilnehmenden wurden zuerst auf einer realen Probefahrt von einer Fahrberaterin auf ihre Fahrsicherheit hin überprüft. Anschliessend mussten die Probanden am Computer verschiedene Tests absolvieren, die das kognitive Leistungsniveau und die Flexibilität erfassten. Beispielsweise mussten sie am Bildschirm Aufgaben lösen und gleichzeitig auf bestimmte Signale in der visuellen Peripherie achten. Während die Probanden die Aufgaben zur Flexibilität lösten, wurde gleichzeitig ihre Hirnaktivität mit Elektroenzephalografie (EEG) aufgezeichnet.
Casutt arbeitete mit 88 Probanden. Ein Drittel absolvierte das Training im Fahrsimulator: Sie fuhren virtuell durch die Stadt, über Landstrassen oder Autobahnen unter zuweilen schwierigen Bedingungen, etwa bei dichtem Nebel oder nachts. Immer wieder wurden sie dabei in unvorhersehbare, heikle Situationen geführt, etwa wenn ein Wildtier auf die Strasse springt. Das waren die Situationen, in denen erhöhte Aufmerksamkeit und schnelle Reaktionen gefordert waren.
Die Kontrollgruppen – ohne Fahrtraining – absolvierten nur eine Probefahrt, unterzogen sich aber denselben Leistungstests mit Aufzeichnung der Hirnaktivität. So konnte Casutt die Trainingseffekte messen und vergleichen. Die Ergebnisse sind beeindruckend: Die Teilnehmenden, die das Training absolviert hatten, erhielten in der Probefahrt für ihre Fahrsicherheit bessere Noten. Demgegenüber zeigten die Personen in den Kontrollgruppen keine Verbesserung.
Casutt führt den Trainingseffekt auf eine Stärkung der kognitiven Funktionen zurück: Nach dem Simulatortraining legten die Teilnehmenden verbesserte Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsleistungen an den Tag und zeigten flexibleres Verhalten, indem sie automatisierte Verhaltensweisen besser unterdrücken konnten. Diese Verbesserungen spiegelten sich auch in Veränderungen der Hirnaktivität nach dem Training wieder.
Neben dem wissenschaftlichen Wert haben diese Befunde auch eine grosse praktische Relevanz. «Unsere Forschung belegt das Potenzial des Fahrsimulators für Diagnostik und Training der Fahrsicherheit», sagt Casutt und verweist dabei auf dessen Vorteile: Mit einem Fahrsimulator lassen sich wissenschaftlich begründete und objektive Testkriterien für die Fahreignung definieren, und zudem sind damit Tests wie auch Trainings kostengünstiger.
Fahrten im Simulator bilden die Realität sehr gut ab. «Mit gezieltem Fahrtraining im Simulator könnten ältere Menschen in Zukunft sicherer Auto fahren und damit ihre Autonomie länger behalten. Gleichzeitig machen sie ein Fitnesstraining fürs Hirn», ist Casutt überzeugt.