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Ob Actimel oder Multivitamin-Säfte – sehr viele Produkte werden heutzutage damit beworben, dass sie den Konsumenten gesünder, vitaler oder widerstandsfähiger machen. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Aufbaupräparaten und Nahrungsergänzungsmitteln ist hoch. Und so könnte es bald auch zur verbreiteten Praxis werden, die kognitive Leistungsfähigkeit mit Medikamenten positiv zu beeinflussen.
Tanja Trost, Doktorandin am Rechtswissenschaftlichen Institut, forscht zum Thema «Cognitive Enhancement», einem aktuellen Trend, der sich auch in der Schweiz immer stärker bemerkbar macht: Um die eigene geistige Leistungsfähigkeit zu steigern, greifen gesunde Personen zu Psychopharmaka.
Umfragen haben gezeigt, dass bei Studierenden in Prüfungssituationen beispielsweise das Medikament Ritalin beliebt ist, das eigentlich zur Behandlung von Kindern mit ADHS eingesetzt wird. Vom darin enthaltenen Wirkstoff Methylphenidat erhoffen sie sich eine erhöhte Konzentrationsfähigkeit.
Das Interesse an risikofreien Präparaten ist gross, insbesondere in Bereichen, die von Leistungsdruck und Konkurrenzkampf geprägt sind. Denn die Leistungsfähigkeit ist eine relative Grösse. Sie definiert sich im Verhältnis zu anderen. Die Vorstellung, sich durch «Hirn-Doping» einen Vorteil verschaffen zu können, ist verlockend – auch bei Schulkindern.
Tanja Trost beschäftigt sich in ihrer vom Forschungskredit der UZH geförderten Dissertation mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen gesunde Kinder mit leistungssteigernden Medikamenten, so genannten Neuro-Enhancern, behandelt werden dürfen. «Kinder sind besonders verletzliche Personen. Sie können weder auf die gesellschaftliche Entwicklung Einfluss nehmen, noch entscheiden sie selber über den Konsum von Psychopharmaka. Da ist es wichtig, frühzeitig die nötigen rechtlichen Grundlagen für den Umgang mit Enhancement-Massnahmen zu schaffen», erklärt sie ihre Motivation.
Tanja Trost will herausfinden, ob sich der Einsatz von Neuro-Enhancern anhand der allgemeinen Bestimmungen zum Schutz der Persönlichkeit, die im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) festgeschrieben sind, vollständig und befriedigend klären lässt. Denn gerade bei der Behandlung urteilsunfähiger Kinder mit Neuro-Enhancern stellen sich neue, teilweise heikle Fragen.
Bei der rechtlichen Beurteilung von körperlichen Eingriffen hält man sich zum Beispiel normalerweise an die Faustregel «was schädigt, ist verboten – was heilt, ist erlaubt». Doch diese Faustregel führt im vorliegenden Fall nicht weiter, denn die Einnahme von Medikamenten zur Optimierung der kognitiven Leistungsfähigkeit ist weder eine Schädigung, noch dient sie der Heilung einer Krankheit.
Tanja Trost arbeitet an einem Kriterienkatalog, der dabei helfen soll, zu beurteilen, ob der Einsatz von Enhancement-Massnahmen in einer bestimmten Situation rechtmässig ist oder nicht. Wie sieht es aus mit möglichen gesundheitlichen Risiken? Welche Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden des Kindes sind zu erwarten? Es ist denkbar, dass ein Kind in einem Umfeld, wo Cognitive Enhancement zur Regel geworden ist, in seiner positiven Entwicklung gefährdet wird, wenn die Eltern auf eine Medikamentierung verzichten. Könnten die Eltern dann dazu gezwungen werden, ihren Kindern Neuro-Enhancer zu verabreichen?
Eine wichtige Frage ist, ob die Einnahme eines «Ruhigstellers» oder «Wachmachers» das Bewusstsein oder das Wesen eines Kindes – seine «mentale Integrität» also – beeinflusst. Die Doktorandin prüft, ob die bestehenden Regelungen im Hinblick auf den Schutz der mentalen Integrität ausreichend konkretisiert sind. Denn angesichts der fortschreitenden neurowissenschaftlichen Forschung wird es immer wichtiger, die nötigen rechtlichen Grundlagen für Eingriffe ins Hirn zu schaffen.
Tanja Trost ist selbst Mutter zweier Kinder. Sie hat für sich das ideale Forschungsthema gefunden: «Man kann Cognitive Enhancement aus ganz verschiedenen Blickwinkeln diskutieren – rechtlich, medizinisch, psychologisch, ethisch.» Dieser fächerübergreifende Zugang, sagt sie, reize sie besonders.