Navigation auf uzh.ch
Sind Frauen die besseren Menschen? Der Begriff «Matriarchat» – also Mütterherrschaft – geht von der Vorstellung einer friedlichen, von Frauen beherrschten Gesellschaft aus, die es so allerdings nie gegeben hat. Trotzdem, oder gerade deswegen sind auch heute Theorien und Sehnsüchte über das Matriarchat weit verbreitet und tauchen in unterschiedlichsten Kontexten auf.
So zum Beispiel in verschiedensten Internet-Zirkeln oder in historisch-fantastischen Romanen. Man denke nur an den sensationellen Erfolg des Fantasy-Romans «Die Nebel von Avalon», einer Interpretation der Artussage, die aus der Sicht einer Priesterin, der Halbschwester von Artus, erzählt wird. In den 80er Jahren fand eine intensive feministisch-esoterische Auseinandersetzung mit dem Roman statt.
Meret Fehlmann, Oberassistentin am Institut für Populäre Kulturen der Universität Zürich, ist in ihrer umfangreichen Dissertation den geistigen Spuren des Matriarchats und den damit verbundenen utopischen Vorstellungen einer Frauengesellschaft nachgegangen. Sie stellt ihr Buch mit dem Titel «Die Rede ist vom Matriarchat» heute in einer Buchvernissage vor. Drei weitere Autorinnen, die am Institut für Populäre Kulturen zu Genderthemen geforscht haben, präsentieren ihre Arbeiten ebenfalls. (Mehr dazu im Kasten weiter unten.)
Meret Fehlmanns Dissertation handelt zunächst vom Schweizer Johann Jakob Bachofen (1815-1887), der den Begriff des Matriarchats geprägt hat. 1861 erschien sein über 1000 Seiten umfassendes Werk «Das Mutterrecht», das heute als Klassiker gilt. Bachofen beschreibt darin, wie er sich den Anfang der menschlichen Entwicklungsgeschichte vorstellt. Dazu entwickelte er den Begriff des Matriarchats.
Obwohl die Frauen von Anfang an physisch unterlegen gewesen seien – so Bachmanns theoretische Vermutungen – hätten sie sich doch in der ersten Entwicklungsphase der menschlichen Gesellschaft gegen die physische Kraft der Männer durchgesetzt, und zwar dank ihres Primats in der Sphäre des Kultischen. So entstand nach Bachofens Vorstellung das Matriarchat, die Herrschaft der Frauen. Beweisen konnte er seine Theorie nicht – ebenso wenig wie seine Vermutung, dass aus dieser Zeit der Brauch stamme, sich nach der Mutter zu benennen und nicht nach dem Vater. Denn der Vater war wegen des regellosen Zusammenlebens nicht festzustellen.
Einige Jahre später, nach dem Erscheinen des «Mutterrechts», gab es eine ethnologische Bestätigung der Theorien Bachofens. 1877 erschien «Ancient Society» von Henry Morgan. Dieses Buch war wiederum Vorlage für Friedrich Engels «Ursprung der Familie». Morgan hatte das Prinzip der einlinigen Verwandtschaft entdeckt, bei den Irokesen, die nach der Mutterlinie organisiert waren.
«Doch Matrilinearität, sprich: die Übergabe bestimmter Rechte von der Mutter auf die Tochter, darf man nicht mit der Idee des Matriarchats verwechseln», sagt Fehlmann. Der Mythos einer matriarchalischen Gesellschaft sei niemals Realität gewesen.
Um 1900 setzte in Deutschland eine breite Rezeption von Bachofens «Mutterrecht» ein. Das Buch übte einen grossen Einfluss auf die «Münchner Kosmiker» aus, einem Kreis von Künstlern und Intellektuellen. Ihre Lobpreisung der Anfänge und der Mütter ging unmittelbar mit einer fundamentalen Kritik der modernen Gesellschaft einher.
Auch die damals aufkommende Lebensreform-Bewegung pries das Matriarchat und den Kult der Muttererde. Sie benutzte die Idee, um für andere Gesellschaftsformen zu plädieren. Nichtchristliche orientalische Religionen stiessen auf grosses Interesse. Das im Tessin gelegene Ascona mit dem Monte Verità wurde ein zentraler Ort dieser Gegenkultur.
Auch in der völkischen Bewegung der 1920er und 1930er Jahre, welche die moderne Gesellschaft von rechts attackierte, war das Matriarchat ein Thema. Ein Streitpunkt war die Gesellschaftsordnung der alten Germanen. Einer Mehrheit, die von einer patriarchalen Struktur ausging, stand die Fraktion völkischer Feministinnen gegenüber, die davon überzeugt waren, dass in den germanischen Stammesverbänden die Frauen das Sagen gehabt hätten.
In der modernen Frauenbewegung schälte sich keine einheitliche Position heraus. Während die Matriarchats-Idee in den 20er Jahren viel Zustimmung fand und auch als Argument für mehr Gleichberechtigung herhalten musste, lehnte die Frauenbewegung nach 1945 ein Matriarchat klar ab. Die Begeisterung für diese Idee wuchs dann wieder in den beginnenden 70er Jahren. Radikale Feministinnen plädieren bis heute für die Herrschaft der Frauen. Sie sind davon überzeugt, dass Frauenherrschaft zu einer besseren Gesellschaft führt.