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Herr Ettinger, Medien sollen Mächtigen auf die Finger schauen und so dazu beitragen, Machtmissbrauch zu verhindern. Das ist im Fall Hildebrand geschehen. Sind Sie zufrieden mit der Leistung der Medien?
Patrik Ettinger: So wie dieser Fall gelaufen ist, kann man damit nicht zufrieden sein. Die ausschlaggebenden Artikel, die in diesem Fall geschrieben worden sind, sind gekennzeichnet durch eine boulevardeske und kampagnenartige Empörungsbewirtschaftung, durch Moralisierung, Personalisierung und Emotionalisierung. Die Vereinfachung des Falls auf eine Geschichte von Held oder Schurke, die Verengung des Blicks auf Einzelheiten und die Ausrichtung an politischen und ökonomischen Partikularinteressen – das alles hat viel Schaden angerichtet.
Auffällig am Fall Hildebrand ist die polarisierte öffentliche Meinung. Auf beiden Seiten ist viel Voreingenommenheit zu beobachten. Hat dies etwas mit der Kultur des politischen Journalismus in der Schweiz zu tun?
Eindeutig. Die öffentliche Meinung ist erkennbar in ein Pro-Blocher und ein Anti-Blocher-Lager gespalten. Diese Polarisierung, welche die Diskussion des Falls Hildebrand geprägt hat, ist selbst das Ergebnis einer emotionalisierend-vereinfachenden Berichterstattung. Medienpopulismus und politischer Populismus ergänzen sich hier wechselseitig. Die Qualität der Berichterstattung schlägt unmittelbar auf die Qualität der öffentlichen Diskussion durch, das zeigt der Fall Hildebrand eindrücklich. Besonders deutlich wird dies in den Postings auf den Newssites der Online-Medien.
Wenn die Weltwoche keinen Druck aufgesetzt hätte, wären die Fakten nicht auf den Tisch gekommen. Hat die Weltwoche mit ihren Enthüllungen nicht einfach die ihr zukommende Wächter-Funktion erfüllt?
Die Qualitätsnormen im Journalismus legen nicht fest, was thematisiert werden darf, sehr wohl aber, wie dies geschieht. Medien dürfen, ja sie sollen die Geschäfte von Hildebrand kritisieren. Aufklärung ist gut und richtig. Aber nicht so: Es kommt auch auf den Ton an, der angeschlagen wird. Ausserdem ist zu sagen, dass die Weltwoche und auch die Sonntagszeitungen bei der Recherche handwerkliche Fehler in Kauf genommen haben. Unabhängige Recherche heisst, dass man die Informationen, die einem zugespielt werden, mit Vorsicht und Zurückhaltung behandelt, sie validiert und im Zweifelsfall mit der Publikation zuwartet, wenn sich Aussagen nicht erhärten lassen. Die Weltwoche aber stützte sich nur auf eine einzige Quelle. Das ist eine erstaunlich geringe Rechercheleistung für eine Wochenzeitung.
Auch die Sonntagszeitungen haben selektive Informationen schnellfertig vermarktet, ohne sie genügend abzuwägen und einzubetten. Das ist typisch für ein Mediensystem, das immer kurzfristiger getaktet ist, immer stärker durch Konkurrenz geprägt ist und in dem die Einschaltquote und Auflagezahlen die wichtigste Währung ist. Bei den Sonntagszeitungen war es der Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit, der zur ungenügenden Wahrung journalistischer Berufsstandards geführt hat. Bei der Weltwoche führte die Kampagnen-Logik und die thesenjournalistische Ausrichtung Regie. Man brachte die Geschichte à tout prix, weil sie ins ideologische Konzept passte.
Gibt es eine klare Grenze zwischen journalistischer Aufklärung und medialer Treibjagd?
Es gehört zu den starken Öffentlichkeitsnormen, die wir von der Aufklärung übernommen haben, dass Medien Machtträger kontrollieren. Medien sollten diese Kontrollfunktion wahrnehmen, indem sie Fakten prüfen, Argumente abwägen und dem besten Argument zum Durchbruch verhelfen. Sie sollten dabei – auch dies in der Tradition der Aufklärung – einen vernunftorientierten Diskurs pflegen und von partikulären Interessen, seien diese politischer oder ökonomischer Art, absehen. Von Treibjagd würde ich sprechen, wenn die Berichterstattung moralisch-emotional aufgeladen und persönlich diffarmierendend und vorverurteilend ist. Wenn Einzelheiten, die gerade zupass kommen, ohne den Blick aufs Ganze aufgebläht werden. Zur Treibjagd gehört auch, wenn rechtsstaatliche Errungenschaften wie die der Unschuldsvermutung missachtet werden. So gesehen zeigt die Berichterstattung über Hildbrand Elemente einer Treibjagd.
Gibt es bei Skandalisierungen noch eine Notbremse, oder kann man der Dynamik, wenn sie einmal in Gang gesetzt ist, nur noch zusehen?
Skandale absorbieren sehr schnell ungeheuer viel Aufmerksamkeit und lösen eine komplexe Dymamik von Reaktionen und Gegenreaktionen aus. Skandal-Dynamiken sind daher kaum zu kontrollieren. Über das Schicksal der skandalisierten Person wird dann allerdings in der Regel nicht in den Medien entschieden, sondern in den sozialen Netzwerken und Institutionen, von denen die betreffende Person getragen wird. Dies war auch bei Philipp Hildebrand so. Ob ein Skandal ausgesessen werden kann, hängt also nicht nur vom skandalisierten Normverstoss ab, sondern auch davon, wie gross der institutionelle Rückhalt der betreffenden Personen ist.
Im Fall Hildebrand waren viele Medien, namentlich die Weltwoche, aber auch die Sonntagszeitungen, selbst Partei. Erleben wir gerade eine Repolitisierung der Schweizer Presselandschaft?
Seit ein paar Jahren ist bei einzelnen Medien tatsächlich eine Repolitisierung festzustellen. Weltwoche und BAZ agieren verstärkt aus einer spezifischen weltanschaulichen Position heraus. Das steht im Widerspruch zu einem langjährigen Trend der Medien hin zu kommerzialisierten Forumszeitungen, die primär an ökonomischen, nicht an politischen Gesichtspunkten orientiert sind.
Wäre gegen eine stärker politisierte Medienlandschaft etwas einzuwenden?
Solange die Qualität der Berichterstattung nicht darunter leidet und die Transparenz bezüglich der Besitzverhältnisse gewahrt ist, wäre nichts dagegen einzuwenden. Bis in die Sechzigerjahre hinein war die Presselandschaft in der Schweiz stark politisiert. Damals dominierte die Parteipresse. Die wichtigsten Tageszeitungen waren Zentralorgane grosser politischer Milieus: Das Vaterland stand fürs katholisch-konserative Milieu, die Tagwacht für die Sozialdemokratie. Im Unterschied zur Weltwoche oder bis vor kurzem zur BAZ herrschte aber Transparenz, welche politischen Kräfte hinter den jeweiligen Titeln standen. Unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten ist diese Transparenz sehr wichtig, denn Printmedien sind zwar privatrechtlich organisiert, aber sie stellen mit Publizität ein öffentliches Gut her.
Sie haben die Emotionalisierung und Moralsierung der öffentlichen Kommunikation beklagt. Sind daran die Medien allein schuld?
Nein, daran haben auch die politischen Akteure Anteil. Man muss die öffentliche Kommunikation als Beziehungsspiel zwischen verschiedenen Akteuren betrachten, als Beziehungsspiel zwischen den Medien und den Politikern, die sich der Logik der Massenmedien anpassen. Das lässt sich an der laufenden Affäre um den deutschen Staatspräsidenten Christian Wulff gut zeigen. Wulff hat sich, wie viele andere Politiker auch, der Boulevardmedien bedient. Er hat die Medien mit Informationen aus dem privaten Bereich gefüttert, hat Homestories über sich schreiben lassen. Es gab über Jahre hinweg eine enge Partnerschaft von Wulff und der Bild-Zeitung. Er darf sich also nicht wundern, wenn sein privater Hauskauf nun zum Politikum wird.
Politiker haben in den letzten Jahren die Grenzen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit immer weiter verschoben. Sie haben die emotionalisierende Berichterstattung unterstützt, um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Sie haben also durchaus eine Mitverantwortung, was die Qualität der öffentlichen Kommunikation anbelangt.