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Amrei Wittwer fixiert eine kleine Heizplatte am Unterarm von Beat, einem jungen Mann, der sich bereit erklärt hat, für die Wissenschaft Schmerzen zu ertragen. Dann startet sie das Gerät. Langsam steigt die Temperatur des Hitzeschmerzgeräts an. Bei 46 Grad beisst Beat die Zähne zusammen. Bei 51 Grad stoppt er den Reiz, seine Schmerztoleranz ist erreicht. Das Gerät hätte bei 52 Grad Celsius automatisch angehalten, um Verbrennungen bei den Probanden zu verhindern. Höhere Temperaturen wären ethisch nicht vertretbar.
«Schmerz ist eine subjektive Empfindung. Jeder kennt nur seinen eigenen Schmerz, nicht den des anderen», erklärt Schmerzforscherin Amrei Wittwer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Collegium Helveticum von Universität und ETH Zürich. Wittwer arbeitet mit dem Hitzeschmerzgerät «Medoc»: Die Testperson kann per Mausklick mitteilen, ab wann sie das erste Mal eine schmerzliche Empfindung wahrnimmt und ab wann der Schmerz unerträglich wird. Zur Aufzeichnung, Darstellung und Bearbeitung der Daten dient ein Computer, der an das Hitzeschmerzgerät angeschlossen ist. Die Forscherin lässt sich anschliessend den Schmerz beschreiben. War er stechend, brennend, reissend oder ziehend?
Schwieriger wird es, wenn Forscher Schmerzen bei Personen messen wollen, die nicht sprechen und ihren Schmerz nicht beschreiben können. Wie es etwa bei Patienten der Fall ist, die beatmet werden, sediert oder kognitiv beeinträchtigt sind. Sie alle sind einem hohen Risiko inadäquater Schmerzbehandlung ausgesetzt und auf Pflegende angewiesen, die ihr Leiden richtig deuten und lindern können. Wie stark ein Schmerz ist, weiss jedoch nur der Betroffene selbst. Aussenstehende können dies oft nur unzutreffend einschätzen.
Wittwer hat nun ein Molekül gefunden, das Hitzeschmerz rein chemisch anzeigt. Dazu entnimmt die ausgebildete Pharmazeutin ihren Probanden nach der Prozedur mit dem Hitzegerät Speichelproben, die anschliessend von dem Forscher Roberto La Marca im biochemischen Labor der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der UZH (Leitung von Professorin Ulrike Ehlert ) untersucht werden. Sie vergleicht die Werte der Speichelproben mit den Ergebnissen des Hitzeschmerzgerätes: Subjektives Schmerzempfinden wird so mit den objektiven Laborwerten in Relation gesetzt.
«Schmerz ist eine Form von Stress», erklärt Wittwer. Verschiedene Studien an der Abteilung von Professorin Ulrike Ehlert haben zuvor gezeigt, dass die Aktivität eines Speichelenzyms, der so genannten Alpha-Amylase, stressabhängig ist und ein leicht messbarer Indikator für die Aktivierung des autonomen Nervensystems.
Was Wittwers Studien nun zeigen: Wird der Schmerz schlimmer, nimmt auch die Menge des Enzyms proportional zu. «Je stärker und unangenehmer der Hitzeschmerz, um so mehr Enzym bildet sich im Mund», sagt Wittwer. Mit dieser signifikanten Korrelation habe sie vor den Versuchsreihen nicht gerechnet. Und der praktische Gewinn: Mit Speichelproben kann man vielleicht bald starken Schmerz objektiv nachweisen, sagt die Forscherin, die ihre Ergebnisse demnächst veröffentlichen wird.
Wenn Schmerz durch diese Methode besser einschätzbar wäre, sei das für Ärzte und Pflegpersonal eine neue Möglichkeit, die Dosierung der Medikation genauer einzustellen, als es bisher der Fall war, bestätigt Elisabeth Handel vom Zentrum Klinische Pflegewissenschaft am Universitätsspital Zürich. «Wir befassen uns intensiv mit der Schmerzbehandlung bei kognitiv- und oder bewusstseinsbeeinträchtigten Patienten und schätzen die Schmerzen anhand von Verhaltensmerkmalen ein.» Ergänzend dazu mit Speichelproben zu arbeiten, könne sie sich gut vorstellen, meint Handel.