Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Zukunftspläne junger Erwachsener

Home Sweet Home

Die Sozialgeografin Karin Schwiter hat die Zukunftspläne junger Schweizerinnen und Schweizer analysiert. Die Lebensentwürfe der 24- bis 26-Jährigen basieren auf traditionellen Werten. Kinder sind erst ein Thema, wenn genug Geld, ein guter Job und ausreichend Zeit für die Kleinen vorhanden sind. Kinderkrippen sind verpönt. 
Marita Fuchs

Nicht erst seit sich Angelina Jolie oder Ex-Spice-Gril Victoria Beckam stolz mit immer neuen Babys zeigen, gilt der Massstab: Kinder krönen die Karriere. Doch bis Herr und Frau Schweizer die materielle Lebensgrundlage dafür geschaffen haben, kann es für Nachwuchs bereits zu spät sein.

Die gesellschaftliche Debatte um die Kinderfrage hat im Zuge der immer älter werdenden Gesellschaft an Brisanz gewonnen. Zwar stieg die Geburtenzahl in der Schweiz von 2009 bis 2010 um 2,2 Prozent, doch ob das schon als Indiz für eine kinderfreundlichere Lebensplanung gedeutet werden kann, darf bezweifelt werden. Die Zahlen gründen zu einem grossen Teil auf der Bevölkerungszunahme durch Zuwanderung.

Kinder sind dann glücklich, wenn sie von den Eltern betreut werden – davon sind junge Schweizer Erwachsene überzeugt.

Kanon tradierter Werte

Bisher weiss man wenig darüber, wie junge Erwachsene zu Familienplanung und Kinderwünschen aktuell stehen. Das zu ändern, hat sich die Sozialgeografin Karin Schwiter von der Universität Zürich vorgenommen. Dazu hat sie 24 junge Erwachsene zwischen 24 und 26 Jahren in umfassenden Interviews nach ihren Zukunftsplänen befragt. Die Forscherin kam dabei zum Ergebnis: Die Jungen halten die traditionellen Familienwerte hoch. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung hat Schwiter im Juni in einem Buch mit dem Titel «Lebensentwürfe. Junge Erwachsene im Spannungsfeld zwischen Individualität und Geschlechternormen» veröffentlicht.

Methodisch hat sie 24 junge Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer in qualitativen Analysen befragt; darunter Probanden mit kurzen oder langen Bildungswegen, Singles oder Personen, die in einer Beziehung leben. Auch auf den Familienhintergrund, eine eher städtische oder ländliche Wohnform oder die religiöse Ausrichtung hat Schwiter bei der Probandenwahl geachtet.

Jagd auf Diplome

Grundsätzlich betonen die Befragten die grossen Chancen und Möglichkeiten, die das Leben dem Einzelnen bietet. Jeder und jede sei seines oder ihres Glückes Schmid, so das Motto. Dies äussere sich beruflich zum Beispiel in einer geradezu verbissenen Jagd nach Diplomen, sagt Schwiter. Selbst Personen mit einem vergleichsweise schmalen Bildungsportfolio stellen also nicht praktische Erfahrungen in den Vordergrund, sondern Zeugnisse, um Kompetenz zu signalisieren. «Die Befragten sind ständig dabei, sich weiterzubilden. Sie planen, sich von der Betriebspraktikerin zur Hauswartin weiterzubilden, vom Psychologen zum Psychotherapeuten, vom Schreiner zum Vorarbeiter», sagt Schwiter. Sie vermutet, dass die steigenden Anforderungen in der Arbeitswelt dieses Verhalten bewirken.

Karin Schwiter: Damit sich junge Paare wieder vermehrt für Kinder entscheiden, braucht es flexiblere Arbeitsarrangements für die künftigen Väter.

Bereit sein

Trotz des hohen Engagements im Arbeitsalltag sind für die Befragten eigene Kinder nach wie vor der Schlüssel zu einem geglückten Leben. Jedoch müssen für Kinder die Lebensumstände auch «passen». Dies beinhaltet nach Ansicht der Befragten eine langfristig angelegte Partnerschaft. Beide müssten ihre Berufsausbildung abgeschlossen, im Beruf Fuss gefasst und genügend Geld auf der Seite haben. Zudem sollten beide Partner «bereit» sein für Kinder und die gleichen Ansichten zur familiären Arbeitsteilung haben.

Gemäss jüngster Daten des Bundesamtes für Statistik waren im Jahr 2009 über 80 Prozent der Paarhaushalte mit Kindern unter sieben Jahren nach dem Ernährer-Hausfrau-Modell organisiert: Der Vater arbeitet vollzeitlich, die Mutter ist nicht oder allenfalls in einem meist geringen teilzeitlichen Pensum erwerbstätig. Im Gegenzug übernimmt die Frau den Hauptteil der Kinderbetreuung und der Hausarbeit.

Feindbild Krippenkind

Die Befragten distanzieren sich zwar von dieser Norm des Ernährer-Hausfrau-Modells. Alles sei verhandelbar und vorstellbar, so die Jungen. Doch nimmt diese Aushandlung der Arbeitsteilung nach wie vor das Ernährer-Hausfrau-Modell als Ausgangspunkt und Referenzfolie, sagt Schwiter.

Bei Befragten, die bereits mit einem Partner oder einer Partnerin zusammen leben, antwortet zum Beispiel ein Mann auf die Frage nach der Hausarbeit: «Ich helfe viel», während die Frau sagt: «Ich mache viel.» Die Hauptzuständigkeit für den Haushalt bleibt somit bei den Frauen.

Kinder als hehre Wesen

Für Kinder sei es am besten – so ein weiteres wiederkehrendes Argument –, wenn sie durch die Eltern betreut werden. Kinder sollten nicht zu Krippenleiterinnen oder Tagesmüttern eine wichtige Beziehung aufbauen, sondern allein zu Mutter und Vater. Die Befragten bezeichnen vollzeitlich arbeitende Eltern mit Krippenkindern als «daneben», «ganz extrem» oder «krass». Doppelverdiener mit Kindern sind ein Feindbild. Kinder in Krippen zu «versorgen», sei nicht gut.

Ganz traditionell gehen die Jungen davon aus, dass nach der Geburt der Kinder erst einmal die Mutter zu Hause bleibt und der Vater weiterhin erwerbstätig ist. Damit wird der Mann zum Haupternährer der Familie und zum Papa mit (weiterhin) flexiblen Karriereoptionen.

Bei den Rollenbildern schwanken die jungen Erwachsenen «hin und her zwischen dem Glauben an einerseits gleiche und andererseits doch geschlechtsspezifisch unterschiedliche Eigenschaften von Männern und Frauen», bilanziert Schwiter. «Die Geschlechterverhältnisse sind im Umbruch, alte Bilder haben ihre Dominanz verloren, neue sind jedoch erst im Entstehen begriffen.»

«Alles muss perfekt sein»

Die Ergebnisse ihrer Untersuchung seien zwar eine Momentaufnahme, sagt Schwiter, würden jedoch zeigen, dass junge Erwachsene aller Schichten und Ausbildungsgrade hohe Hürden errichten, bis sie bereit sind für eine Familie. «Vielleicht liegt das auch daran, dass das Kind an sich heute einen sehr hohen Wert hat», meint die Forscherin. «Kommt ein Baby auf die Welt, muss alles perfekt sein.»

Aus ihrer Forschung stelle sich folglich die gesellschaftliche Frage, wer sich unter diesen Bedingungen überhaupt «leisten» könne, Kinder zu haben. Damit sich junge Paare wieder vermehrt für Kinder entscheiden, brauche es bessere Rahmenbedingungen – insbesondere flexiblere Arbeitsarrangements für die künftigen jungen Väter.