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UZH News: Frau Douls Eicher, Pablo Picasso war als Künstler ungeheuer produktiv und vielseitig. Trotzdem überrascht es, dass er ein umfangreiches literarisches Werk hinterlassen hat. Wieso ist dies nur einem kleinen Publikum bekannt?
Fabienne Douls Eicher: Picassos malerisches Werk hat seine anderen Arbeiten in der Wahrnehmung völlig okkupiert. Und die Kunsthistoriker waren natürlich lange bestrebt, Picasso in ihren Kreisen zu halten, um ihn nicht mit der literarischen Forschungsgemeinschaft teilen zu müssen. Hinzu kommt, dass erst 1989, also sechzehn Jahre nach Picassos Tod, eine umfassende Edition zu seinem literarischen Werk vorlag. Dementsprechend jung ist das Forschungsgebiet «Picasso als Dichter». Was wir aber bereits wissen, möchten wir gern mit der Öffentlichkeit teilen.
Parallel zur Picasso-Retrospektive im Kunsthaus Zürich organisieren Sie im Rahmen des Doktoratsprogramms Romanistik der Universität Zürich ein öffentliches Kolloquium «In Wort und Bild: Picassos literarisches Werk». Was erwartet die Besucher?
Gäste und Picasso-Forscher aus verschiedenen Ländern diskutieren darüber, welchen literarischen Wert das Schreiben des Maler-Genies hat und wie sein Werk in die Literaturgeschichte einzuordnen ist. Die Beiträge am Freitag, 14. Januar, im Romanischen Seminar sind vor allem für Leute gedacht, die sich für die Literatur-Forschung interessieren, während sich die Vorträge am Samstag im Kunsthaus an ein breiteres Publikum richten. Wir wollen in Zusammenarbeit mit den Kuratoren der Ausstellung besonders die visuelle Dimension von Picassos Texten ins Zentrum der Diskussion rücken.
Warum wandte sich Picasso mit 54 Jahren überhaupt der Sprache zu?
Das Jahr 1935 bezeichnet eine Krise in Picassos Leben und Schaffen. Seine Frau Olga forderte die Scheidung, weil seine junge Geliebte Marie-Thérèse ein Kind erwartete. Gleichzeitig stand Picasso als bildender Künstler an einem Wendepunkt. Eine malerische Periode war zu Ende gegangen. Also beschloss er zu schreiben. Und siehe da: Das Spiel mit Sprachbildern hatte eine kathartische Wirkung. Picasso fand zu seinem alten Elan zurück.
Neben zwei Theaterstücken hat Picasso rund 350 Gedichte geschrieben – alle datiert und teilweise mit Uhrzeitangaben versehen. War das Dichten für ihn eine Art tagebuchähnliches Aufschreiben seiner Gedanken?
Nein, seine Gedichte erlauben kaum Rückschlüsse auf tatsächliche Begebenheiten oder Personen aus seinem Umfeld. Aber das präzise Datieren und Dokumentieren seiner Werke war ihm wichtig. Picasso war nicht nur Künstler, er war auch ein pflichtbewusster Systematiker, der sein Archiv säuberlich führte.
Seine Gedichte allerdings gleichen einem chaotischen, scheinbar sinnlosen Rausch aus Sprache.
Man muss tief in die Texte eintauchen. Der gewohnte, bequeme Weg des linearen Lesens funktioniert bei Picasso nicht. Seine Sätze gehen ohne Rücksicht auf Syntax und Grammatik ineinander über. In diesem Sinne ist sein Schreiben sehr technisch, geradezu automatisiert. Und doch fügen sich die einzelnen Bilder am Ende zu einem Ganzen zusammen. Was anfangs willkürlich oder zufällig wirkt, ist in Wirklichkeit bis ins Letzte durchdacht.
Das Spiel mit verschiedenen Bedeutungsebenen findet man auch in Picassos Bildern.
Vor allem in seinem kubistischen Werk. Hinter den dargestellten Objekten und Formen ist immer noch eine andere Ebene, eine andere Realität verborgen, die es zu entdecken gilt. Die ganze Tiefe seiner kubistischen Arbeiten erkennt man erst bei längerer Betrachtung. Genauso ist es mit Picassos Dichtung. Man braucht Zeit, um sie zu verstehen.
Als Beispiel für die assoziative Bildkraft seiner literarischen Texte seien ein paar Zeilen vom 16. Dezember 1935 zitiert: «nichts als Farbe/die Biene nagt an ihrem Zaumzeug/nichts als Geruch/der Vogel melkt seine Sichel/nichts als zusehen wie sie sich auf den Kissen winden/die Liebe schmilzt den Stahl des Gleises der Schwalbe/nichts als ein Haar.»
Alle seine Texte tragen solche surrealistischen, hypermetaphorischen Züge. Gleichzeitig ist das Vokabular sehr konkret, an der Objektwelt orientiert. In den Texten stösst sich also lapidar, was in der vordergründigen Realität nicht zusammen gehört. Picassos Gedichte sind eine Art mythologische Poesie des Alltags, die sein Innenleben weit differenzierter widerspiegeln als seine Bilder.
Wie stand Picasso selbst seinem literarischen Werk gegenüber?
Er war zunächst sehr unsicher. Picassos Sekretär Sabartès befand die Gedichte schliesslich für gut. Auch der Surrealist André Breton schloss sich diesem Urteil an und übersetzte die ersten Texte aus dem Spanischen ins Französische. Das gab Picasso den Mut, bis an sein Lebensende weiterzuschreiben. Öffentlich geäussert hat er sich zu seinem literarischen Werk kaum – das Urteil wollte er der Nachwelt überlassen. Am Ende seines Lebens vertraute er aber einem seiner Freunde an: «Im Grunde bin ich ein Dichter, der auf die falsche Bahn geraten ist.»