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Wie kann das Verhältnis von ökonomischem und literarischem Diskurs gedacht und konzeptuell gefasst werden? Welche Rolle kommt der Literatur in einer zunehmend wirtschaftlich beherrschten Welt zu? Mit welchen Strategien greift die Literatur aktuelle ökonomische Prinzipien auf und verarbeitet sie fiktional? Diesen und weiteren ähnlich gelagerten Fragen gingen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kolloquiums «La littérature face à l’hégémomie de l’économique» mit internationalen und Schweizer Gästen nach.
In seiner Begrüssungsansprache sprach sich der Prodekan der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich, Professor Peter Fröhlicher, dafür aus, den Begriff des «Nützlichen» in einen weiteren Rahmen als nur den ökonomischen zu stellen. Der Literaturwissenschaft käme, gerade in ihrer humanistischen Tradition, die Rolle zu, über den Wert der Werte nachzudenken und, in einer zunehmend komplexeren Welt, Modelle anzubieten, mit eben dieser Komplexität umzugehen.
Mit Blick auf die literaturhistorische Dimension zeigte Professor Étienne Barilier (Lausanne), auf welche Art Phänomene wie das Aufeinanderprallen von Qualität und Quantität, die Dominanz des Zählbaren und Messbaren in die Epochen eingeschrieben und deren Kontinuum nachgezeichnet werden kann. In ihrer Fähigkeit, andere Systeme der Aussenwelt (wie das ökonomische System) zu spiegeln, zu kommentieren, zu bewerten, müssen die beiden zentralen Aspekte des literarischen Textes, die ästhetische und die ethische, einerseits in ihrer Wechselwirkung als auch in ihrer jeweiligen Spezifizität betrachtet werden. So ist ein Text der Littérature engagée auch primär ein Kunstwerk, das sich selbst genügt. Um mit Sartre zu sprechen: «Dans la littérature engagée, l’engagement ne doit, en aucun cas, faire oublier la littérature.»
Während Étienne Barilier das ökonomische Paradigma in seiner geschichtlichen Folge einordnete, betonte Professor Marc Chesney (Swiss Banking Institute der Universität Zürich) den Bruch der heute vorherrschenden Form des Kapitalismus mit seiner Vergangenheit: mit der Vorstellung des Kapitalismus als Religion, als Arbeitsethos, wie sie beispielsweise literarisch in Thomas Mann’s Buddenbrooks ihren Niederschlag findet, und mit derjenigen als Kasino, ein Konzept neuerer Arbeiten in der Folge von Keynes.
Weder Vertrauen noch berechenbare Wahrscheinlichkeit kennzeichnen diesen neuen Kapitalismus, der zum Spiel der Akteure als Faux-Monnayeurs gereicht und den Wertekonflikt von Partikulärinteressen und Allgemeinwohl akzentuiert. In dieser Optik präsentiert sich die Literatur als Palimpsest, durch das (und im Vergleich mit dem) die neuen Entwicklungen der Ökonomie verstanden und verortet werden können.
Literatur im Spannungsfeld des internationalen Handels im Sinne einer Export-Importproblematik thematisierte der Vortrag von Professor Remo Ceserani (Bologna). Der Begriff der Weltliteratur, weit vor dem Terminus der Globalisierung, setzt seit der Weimaraner Klassik eine Rezeption anderer Literaturen (Marktöffnung), aber auch das «Exportieren», das Sichtbarmachen der eigenen nationalen Literatur in anderen Ländern (Märkten) voraus. In der heutigen Zeit schaffen vor allem Literaturpreise diese globale Sogwirkung von Lesern.
Im Spannungsfeld von Auflagenzahl und literarischer Qualität stellt sich das Problem, inwieweit der Verlags- und Buchmarkt die Unabhängigkeit und künstlerische Freiheit der Autoren zulässt. Auf einer intradiegetischen Stufe stellen literarische Texte genuin die Frage des Subjekts und seiner Konstitution durch Bezüge zu Akteuren und Systemen der Aussenwelt.
In der Folge der Auseinandersetzung mit dem kolonialistischen Erbe ist der Kulturraum Südamerikas ein schillerndes Beispiel, wie sich in Gedichten seit Beginn des 20. Jahrhunderts (Vallejo, Neruda, Parra, Cisneros) ein Subjekt mit und gegen einen herrschenden Diskurs konstruiert. Im Besonderen geht es, so zeigte Professor Camillo Fernández Cozman (Lima), um eine Definition des literarischen Subjektes im Kontext des kommerziellen Handels und der Konsumgesellschaft. Dabei definiert sich das Subjekt ex negativo aus dem Mangel an Gütern, welche prinzipiell im Überfluss vorhanden sind.
Die aktuelle französische Literatur, die dem Vortrag von Sonya Florey (Lausanne) zu Grunde lag, nimmt die unmittelbare Wirtschaftrealität direkt zum Thema, auch um sie mittels parodistischen Mitteln zu demaskieren. Stilistische Elemente (zum Beispiel Periphrasen, Repetitionen, Abstrakta, Anglizismen) in den literarischen Texten verweisen auf eine zunehmende Depersonalisierung des Subjekts. Gerade in ihrer Möglichkeit, sich der herrschenden (ökonomischen) Realität zu bedienen, sie aber gleichzeitig in der Fiktionalität zu transformieren, Aspekte zu betonen und zu überzeichnen, leistet die Literatur einen wesentlichen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart.