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Das Judentum war ihm zu unvernünftig, der Islam zu unmoralisch: Anfang des 12. Jahrhunderts konvertierte der spanische Jude Petrus Alfonsi zum Christentum. Es war eine Zeit des kulturellen Auf- und Umbruchs in Westeuropa. Christliche Theologen und Philosophen begannen sich damals immer mehr für das zeitgenössische Judentum, den Islam und die damals führenden arabischen Naturwissenschaften zu interessieren.
Diesen steigenden Wissensdurst konnte Petrus Alfonsi, der Spanien in Richtung Nordfrankreich verlassen hatte, stillen. Als Konvertit kannte er das zeitgenössische Judentum und den Talmud aus erster Hand. Zudem besuchte er in Spanien die Schulen der Muslime und war in den arabischen Wissenschaften, insbesondere der Medizin und der Astronomie, ausgebildet. Dieses breite Wissen vermittelte Petrus in seinen Schriften, die im 12. Jahrhundert und danach in ganz Europa eifrig kopiert wurden.
In einem seiner Hauptwerke, dem um 1109 in Nordfrankreich entstehenden «Dialogus», setzt er sich als Christ etwa polemisch mit Judentum und Islam auseinander. Gleichzeitig vermittelt er auf diese Weise aktuelles Wissen über die kritisierten Religionen und spickte seine Ausführungen immer wieder mit für den Westen neuen naturwissenschaftlichen Kenntnissen.
Wandernde Gelehrte
«Petrus Alfonsi ist eine faszinierende Figur, die seiner Zeit voraus war», sagt Carmen Cardelle. Wie Petrus ist auch sie eine wandernde spanische Gelehrte, die nach Stationen in Saarbrücken, München und Heidelberg nun seit Mitte 2008 als Professorin für Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit an der Universität Zürich forscht und lehrt. Fragen des interreligiösen Dialogs beschäftigten die Menschen heute immer mehr, stellt Cardelle fest, das gelte auch für die Erforschung des Mittelalters.
Deshalb steigt auch das Interesse an Petrus Alfonsi. Allein, die wissenschaftliche Diskussion über den Denker aus dem 12. Jahrhundert steht auf unsicherem Grund. Denn bislang fehlt ein seriös edierter und kritisch kommentierter Text.
Das soll sich nun ändern: Innerhalb der nächsten drei Jahre wird von Carmen Cardelle und ihren Mitarbeitern eine solche Edition erarbeitet. Gleichzeitig wollen die Zürcher Mittellateiner mit Kollegen aus anderen Disziplinen die hebräischen, arabischen und lateinischen Quellen erschliessen, die in Petrus’ Werk eingeflossen sind.
Software aus der Biologie
Bei ihrem Editionsprojekt gehen die Zürcher Philologen neue Wege. Ihr Ziel ist es, einen Text zu erarbeiten, der möglichst nahe an das Original herankommt. 62 Handschriften des «Dialogus», die mehr oder weniger voneinander abweichen, konnten die Forscher zusammentragen. Nun galt es aus dieser Vielzahl von Texten, die für die Edition geeignetesten herauszufiltern. Bisher geschah dies auf Grund von oft zufälligen Kriterien.
Ein Ausweg aus dieser unbefriedigenden Situation bot den Zürcher Forschern die Computertechnik – und der Segen der Interdisziplinarität. Denn Carmen Cardelles Assistent Philipp Roelli ist nicht nur Philologe, sondern gleichzeitig auch Biologe und Mathematiker.
Zusammen mit einem Kollegen, einem Indogermanisten und Physiker, entwickelte er neue Algorithmen, um die Distanz zwischen den gesammelten Handschriften zu bestimmen. Mittels eines Programms, das in der Biologie zum Vergleich von DNA-Sequenzen verwendet wird, wurden die Resultate dieser Analyse danach in ein Baumschema umgesetzt.
Auf diese Weise konnten die Forscher verschiedene Gruppen von Handschriften sichtbar machen, aus denen sie die sechzehn besten auswählten. Diese werden nun genauer untersucht und weiter selektioniert. Schussendlich soll die Edition des «Dialogus» auf der Basis von nur wenigen, repräsentativen Handschriften entstehen.
Nicht ganz koscher
Im «Dialogus» inszeniert der Konvertit Petrus Alfonsi ein Zwiegespräch mit seinem früheren Ich – dem Juden Moses. Diesem erläutert er die Vorzüge des Christentums. Seine Strategie: Er versucht dem alter Ego zu beweisen, dass einzig der christliche Glaube mit der Vernunft in Einklang gebracht werden kann.
Diese Argumentationslinie war für die damalige Zeit neuartig und sollte später für die christliche Polemik bestimmend sein. «Allerdings», räumt Carmen Cardelle ein, «waren Petrus’ Argumentationen aus heutiger Sicht nicht immer ganz koscher.»
Petrus Alfonsis Auseinandersetzung mit dem Islam ging dagegen in eine ganz andere Richtung. Hier hegte er vor allem moralische Vorbehalte. Die Religion selbst schien ihm durchaus vernunftkonform und wie er betont – im Gegensatz zum Judentum dem Menschen gemäss.
Petrus’ Kritik entlud sich vor allem an der Figur Mohammeds: Im «Dialogus» beschreibt er den Propheten als Mann mit einem grossen Verlangen nach Frauen, der deshalb Ehebruch beging und seinen Jüngern diesen ebenfalls erlaubte. Aus Sicht des Autors eine Todsünde. Petrus Blick auf den Islam war sehr nachhaltig und bestimmte bis zu Luther das christliche Bild dieser Religion.