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Berufungen an Musikhochschulen

Modelle der Corporate Governance als Vorbild

Viele Musikhochschulen haben für Berufungsverfahren keine Reglemente. In seiner durch den Forschungskredit der Universität Zürich unterstützten Dissertation untersucht der Jurist Rico Gubler inwieweit öffentlich-rechtliche Verfahrensgarantien – etwa der Anspruch auf rechtliches Gehör – in solchen Fällen anwendbar sind und nach welchen Regeln Berufungen ablaufen sollen.
Barbara Fritschi
Rico Gubler, Jurist und Musiker: Vorschläge für Berufungsreglemente an Musikhochschulen erarbeitet.

Während viele Künstler nebenher noch einen Brotberuf ausüben, um finanziell über die Runden zu kommen, ist das bei Rico Gubler genau umgekehrt. Mit Bezug auf sein Jura-Studium sagt er: «Wenn es mir ums Geld gegangen wäre, hätte ich bei der Musik bleiben müssen.» Denn er war bereits ein mehrfach preisgekrönter Komponist und Saxophonist, als er sich mit 31 Jahren für Jura immatrikulierte. Dieses Studium hatte er eigentlich nur begonnen, weil er aus dem relativ kleinen und engen Kreis der Musikwelt ausbrechen wollte und nach einer zusätzlichen intellektuellen Herausforderung suchte.

Kaum hatte Rico Gubler sein Jura-Studium begonnen, trat er 2004 auch noch eine Professur für Saxophon und Kammermusik an der Musikhochschule in Lugano an. Diese Tätigkeit hat ihm nun die Idee für sein rechtswissenschaftliches Dissertationsthema geliefert: «Anwendbarkeit von (öffentlich-rechtlichen) Verfahrensgrundsätzen im Berufungs- und Bestellungsverfahren an Hochschulen, insbesondere Musikhochschulen».

Schwierige Berufungsverfahren

Die Tatsache, dass Rico Gubler die Welt der Musikhochschulen von innen kennt, eröffnet ihm Perspektiven, die vielen Juristen verschlossen bleiben würden. Schreibt eine Hochschule eine Stelle aus für einen Musiker mit Orchestererfahrung, beruft dann aber einen Kandidaten, der diese nicht mitbringt, obwohl sich auch Orchestermusiker beworben haben, ist das nicht Folge irgendeiner Mauschelei. Vielmehr liegt der Grund für einen solchen Entscheid in einem objektiven Interesse der Hochschule.

Die Hochschulen stehen untereinander in einem harten Wettbewerb und brauchen herausragende Musiker als Lehrer, um gute Schüler anzuziehen. Derart gute Musiker sind aber in der Regel Solisten – diesen fehlt oft die Orchestererfahrung. Wird nun allerdings ein Kandidat berufen, der in diesem Sinne alle anderen Bewerber weit überragt, fehlt der Schule nachher die Orchesterlehrkraft.

Ausserdem hätte man vielleicht einen noch besseren Solisten bekommen können, denn andere Musiker mit dem gleichen Renommee hatten sich auf die Stelle gar nicht erst beworben, weil in der Ausschreibung ein anderes Profil gesucht war. Wie auch immer die Berufungskommission sich in einem solchen Fall entscheidet – es bleibt ein schaler Nachgeschmack. Erschwert wird die Situation dadurch, dass viele Musikhochschulen in der Schweiz gar kein Reglement für das Berufungsverfahren haben.

Was gilt, wenn nichts gilt

Die Dissertation von Rico Gubler zielt daher darauf ab, darzulegen, wer in welchem Verfahrensstadium der Berufung welche Rechte hat. Dafür prüft er zum einen, welche Schritte des Verfahrens als Verfügung zu qualifizieren sind und demnach angefochten werden können. Zum anderen stellt sich die Frage, wer diese Verfügungen anfechten darf. An einer Anfechtung haben zwar primär die nicht berufenen Bewerber ein Interesse, Gubler hat aber auch schon Fälle erlebt, in denen die Mitglieder der Berufungskommission Beschwerde erheben wollten.

Sind solche Rechte nicht explizit geregelt, stellt sich die Frage, ob die Betroffenen sich wenigstens auf allgemeine Verfahrensrechte wie den Anspruch auf rechtliches Gehör oder den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen können. Denn da die Musikhochschulen einen Verfassungsauftrag erfüllen müssen, haben sie die Grundrechte zu beachten. Fraglich ist jedoch, ob das auch für diejenigen Musikhochschulen gilt, die zwar öffentlich-rechtliche Anstalten sind, ihr Personalrecht aber dem Privatrecht unterstellt haben.

Corporate Governance im Berufungsverfahren

Rico Gubler zweifelt, ob diese Unterstellung unters Privatrecht überhaupt zulässig ist – obwohl man sie an mehreren Musikhochschulen findet. Er ist aber der Auffassung, dass für einige Aspekte des Berufungsverfahrens das Privatrecht tatsächlich bessere Lösungen bietet als das öffentliche Recht.

So sieht er beispielsweise für das Problem der Befangenheit in den öffentlich-rechtlichen Ausstandsregeln nicht die beste Lösung. Denn selbst wenn ein Kommissionsmitglied in Bezug auf einen Kandidaten in Ausstand treten muss, bleibt ihm immer noch die Möglichkeit, sich negativ über die übrigen Kandidaten zu äussern, um so die Chancen «seines» Kandidaten zu verbessern.

Das Kommissionsmitglied ganz vom Verfahren auszuschliessen ist aber in der hoch vernetzten Musikwelt nicht praktikabel. Denn da gute Musiker internationale Konzerterfahrung haben, haben die meisten schon miteinander gespielt und kennen sich untereinander.

Keine akademische Fingerübung

Streng durchgesetzte öffentlich-rechtliche Ausstandsregeln findet Rico Gubler daher kontraproduktiv, da sie letztlich zu einem absurden Anforderungsprofil führen: «Im Moment der Berufung muss der Berufene ein unbeschriebenes Blatt sein, und wenn er berufen ist, muss er sofort alle Beziehungen haben.» Gubler konstatiert, dass dies bei Verwaltungsräten oft sehr ähnlich ist, und schlägt daher vor, sich im Berufungsverfahren an Modellen der Corporate Governance zu orientieren.

Die Mitglieder der Berufungskommission sollen vorhandene Beziehungen zu Bewerbern offen legen müssen. Verbunden mit einer Pflicht zur sorgfältigen Protokollführung und zur Entscheidbegründung könne man so besser als mit Ausstandsregeln verhindern, dass sachfremde Argumente in die Diskussion einfliessen.

Für Gubler sind seine Vorschläge zur Neugestaltung keine akademischen Fingerübungen; er hofft durchaus, dass sie Einfluss auf die Praxis haben könnten. Denn zurzeit sind viele Musikhochschulen dabei, Berufungsreglemente zu erlassen und haben interessiert auf seine Recherchen reagiert.