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Gerontologie

Jogging fürs Gehirn im Alter

Das Gehirn bleibt auch im Alter anpassungsfähig. Doch wie kann man es trainieren? In ihrem Dissertationsprojekt testet Christine Sutter ein neues Verfahren, um die kognitive Lernfähigkeit älterer Personen zu erforschen. 
Maurus Bolfing

Lange ging man davon aus, dass die Entwicklung der Hirnstrukturen im fortgeschrittenen Alter stagniert. Aktuelle Studien der verhaltensorientierten Neurowissenschaften weisen jedoch auf eine erstaunliche Plastizität des Gehirns bei älteren Menschen hin. Umso wichtiger wird deshalb das Gehirntraining im Alter.

Christine Sutter entwickelte ein Trainingsprogramm zur Verbesserung von Gehirnleistungen.

Christine Sutters Projekt, das am Lehrstuhl von Mike Martin, Professor für Gerontopsychologie, durchgeführt und vom Forschungskredit der Universität Zürich unterstützt wird, steht in einer noch jungen Tradition. Recht neu ist Erforschung von Zusammenhängen zwischen der Plastizität von Verhalten und der Plastizität von Hirnprozessen und –strukturen.  Im Zentrum der Untersuchung steht dabei der Präfrontale Cortex – ein Teil des Frontallappens. Die so genannte Frontallappenhypothese geht davon aus, dass genau dieser Teil des Gehirns im normalen Alterungsprozess besonders anfällig ist. Dies beeinträchtigt im Alltag etwa die Fähigkeit des Planens, des Initiierens einer Handlung oder das Abwechseln zwischen mehreren Aufgaben. Zur Verbesserung solcher Prozesse – welche die wissenschaftliche Literatur als exekutive Funktionen umschreibt – entwickelte Sutter ein Trainingsprogramm.

Trainingseffekte transferieren

Unter dem Stichwort Gehirnjogging findet sich ein riesiger Markt an kognitiven Trainingsmöglichkeiten «Leider sind viele davon nicht evaluiert», sagt Sutter. Oft wisse man nicht, was genau ein Training bewirke. Bei früher angewandten Strategien verbesserten sich die Leistungen der Trainierenden meist nur in der effektiv geübten Aufgabe, jedoch nicht darüber hinaus.

Ein neuer Trend tendiert deshalb zu prozessbasierten Trainings, bei denen die getestete Person Fortschritte über eine enge Aufgabenstellung hinaus erzielen kann. Diese Fortschritte werden als Transfereffekte bezeichnet.

Probandin beim Ausfüllen des Schlusstests.

Sutter unterscheidet beim Trainingserfolg zwischen «nahem Transfer», also der Leistungssteigerung bei Aufgaben, die der trainierten Aufgabe sehr ähnlich sind, und «weitem Transfer», der Verbesserung in neuen, unähnlichen Aufgaben. Ihr Trainingsziel: Die Teilnehmenden verbessern sich nicht nur in der geübten Aufgabe, sondern auch bei alltäglichen kognitiven Aktivitäten. Sutter schätzt an ihrem Projekt den praktischen Bezug: «Natürlich würde ich mich freuen, wenn meine Trainingsmethode in der Therapie Verwendung finden würde.»

Training per Telefon

Christine Sutter lud über 65jährige Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu einem kognitiven Leistungstest an das Psychologische Institut der Universität Zürich ein. Die Testpersonen lösten dabei verschiedene kognitive Aufgaben, beispielsweise musste eine Probanden-Gruppe Wörter mit Anfangsbuchstaben «P» aufzählen, eine andere wechselte zwischen «G» und «R»,  eine dritte bildete Wörter ohne «e».

Darauf folgten dreiwöchige Trainings in drei Gruppen zu je 20 Personen. Das Training fand zu Fixzeiten und per Telefongespräch statt, sodass die Trainierenden den Weg an die Universität nicht auf sich nehmen mussten. Trainiert wurde «verbal fluency», eine Aufgabe, die oft in neuropsychologischen Abklärungen verwendet wird. Es galt, möglichst viele Wörter einer Kategorie in einer bestimmten Zeit zu bilden, wobei jede Trainingsgruppe einen anderen Aspekt von exekutiven Funktionen (Geschwindigkeit, Wechsel und Verhinderung) trainierte. Ein Trainingsbeispiel: Beim «Initial Letter Fluency Training» übt die Testperson das Aufzählen möglichst vieler Wörter mit demselben Anfangsbuchstaben.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer empfanden es als angenehm, dass sie die Trainings von zu Hause per Telefon durchführen konnten. Auch für Sutter verliefen die Übungseinheiten positiv: «Alle Testpersonen waren sehr motiviert.» Am Ende des Trainings folgte der Schlusstest am Institut zur Erfassung der veränderten kognitiven Leistung.

Fortschritte sichtbar machen

Erste Ergebnisse zeigen in Bezug auf den nahen Transfer bei zwei der drei Trainingsgruppen beachtliche Fortschritte, was bedeutet, dass diese sich in den Schlusstests auch bei ähnlichen Übungen wie der trainierten steigern konnten. Bei einer Gruppe zeigte sich sogar ein weiter Transfer auf das Kurzzeitgedächtnis.

«Das Problem bei neuen Trainingsstudien besteht darin, die Trainingsdauer festzulegen: Wie lange trainiert man, bis ein Effekt sichtbar wird?», erklärt Sutter. Bei zu langen Trainings bestehe die Gefahr, dass die Motivation der Teilnehmenden sinke.

Im Folgeprojekt wird Christine Sutter das Programm mit derjenigen Trainingsgruppe, die am meisten profitiert hat, wiederholen. Beim Anfangs- und Schlusstest wird sie mit Hilfe von bildgebenden Verfahren die Hirnaktivität aufzeichnen und auf Veränderungen überprüfen. «Gemäss Theorie müsste im Bereich des Frontallappens eine Veränderung sichtbar werden», meint Sutter.

Wichtig ist Christine Sutter der präventive Aspekt des Forschungsprojekts: «Da die Bevölkerung tendenziell immer älter wird, ist es wichtig, dass man das Potential des Alters erkennt und erforscht, um kognitive Fähigkeiten zu erhalten oder sogar zu verbessern.»