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Zellforschung

Gefangene DNA-Reparaturproteine

Formaldehyd ist hochgiftig und weit verbreitet. Es macht Kosmetika länger haltbar, veredelt Textilien und hält Spanplatten zusammen. Die Veterinärmedizinerin Flurina Clement erforscht in ihrer Dissertation, wie das farblose Gas das Erbgut in unseren Zellen verändert. Ihre Vermutung: Formaldehyd verhindert, dass sich beschädigte Zellen reparieren können.
Beatrice Scherrer

Was haben Möbel aus Spanplatten, eine Gesichtscrème und ein knitterfreies Kleidungsstück gemeinsam? Sie alle können Formaldehyd enthalten. Das farblose, stechend riechende Gas ist ein wichtiger Grundstoff in der chemischen Industrie. Es wird unter anderem bei der Veredelung von Textilien und als Bindemittel bei der Produktion von Spanplatten eingesetzt.

Formaldehyd: Wichtiger, aber gefährlicher Grundstoff in der chemischen Industrie.

In der Kosmetik findet Formaldehyd Verwendung als Konservierungsmittel. Ausserdem entsteht Formaldehyd beim Rauchen und bei anderen Verbrennungsprozessen. Problematisch ist die Substanz, weil sie Haut-, Atemweg- oder Augenreizungen verursachen kann. Zudem stuft die Uno-Weltgesundheitsorganisation (WHO) Formaldehyd als krebserregend ein.

Schneiden und ersetzen

Flurina Clement ist zwar Veterinärmedizinerin, aber ihre Forschungen zu Formaldehyd betreffen den Menschen. Clement schreibt ihre Dissertation bei Hanspeter Nägeli, Professor für Veterinärpharmakologie und –toxikologie. Sie möchte herauszufinden, welche molekularen Mechanismen hinter der Gesundheitsgefährdung durch Formaldehyd stecken.

Nägeli und sein Team beschäftigen sich mit DNA-Reparaturmechanismen. Besonders interessant ist jener Mechanismus, der Fehler im Erbgut repariert, indem er die geschädigten Stellen ausschneidet und durch gesundes Erbgut ersetzt.

Lebensnotwendige Reparatur

Unser Erbgut wird durch UV-Strahlung, bestimmte Chemikalien oder Fehler bei der Zellteilung ständig beschädigt. Dass solche Defekte entdeckt und repariert werden, ist Voraussetzung dafür, dass eine Zelle korrekt funktioniert. Gelingt die Reparatur nicht, stirbt sie. In einigen Fällen kann ein nicht behobener Schaden dazu führen, dass sich die Zelle ungehindert teilt und Krebs entsteht.

An der Reparatur von DNA-Schäden sind verschiedene Reparaturproteine beteiligt, unter anderem XP-Proteine, benannt nach der Hautkrankheit «Xeroderma pigmentosum». XP beruht auf einem genetischen Defekt. Die Haut der Betroffenen kann durch Sonnenstrahlung verursachte Schäden nicht reparieren, weshalb sich die Patienten – sogenannte «Mondscheinkinder» – vor jeglicher UV-Strahlung schützen müssen.

Flurina Clement: «Der Schwellenwert für die gesundheitsgefährdende Konzentration von
Formaldehyd sollte neu definiert werden.»

Überraschung im Labor

Im Forschungslabor wird Formalin, eine wässrige Formaldehydlösung, als Gewebefixiermittel eingesetzt und benutzt, um anatomische und biologische Präparate zu konservieren. «Ein Fehler bei einem Experiment hat mich auf die Idee meines Forschungsprojekts gebracht», sagt Clement. «Wir verwendeten für die Fixierung von Hautzellen auf einem Objektträger eine falsch konzentrierte Formaldehydlösung», erzählt sie. «Dabei machten wir eine erstaunliche Entdeckung.»

Als Flurina Clement die mit der falsch konzentrierten Formaldehydlösung behandelten Zellen untersuchte, stellte sie überrascht fest, dass der Reparaturmechanismus in diesen Zellen nicht mehr richtig funktionierte. Nach einigen weiteren Experimenten war klar: Das Formaldehyd blockierte den Reparaturmechanismus der Zelle.

Bekannt ist, dass Formaldehyd Proteine an die DNA binden kann. Die Hypothese von Flurina Clement ist nun, dass eine solche Vernetzung auch mit den Reparaturproteinen passiert.

Wenn «grün» zu «rot» findet

Um diese Vermutung zu testen, veränderte sie verschiedene XP-Reparaturproteine, so dass sie grün leuchteten. Gleichzeitig markierte sie die Schäden an der DNA in UV-bestrahlten Zellen mit einem roten Farbstoff.

Jetzt konnte sie unter dem Mikroskop beobachten, dass die «grünen» Reparaturproteine zur «roten» Schadenstelle fanden. Wurden die Zellen jedoch mit Formaldehyd behandelt, nahm die Anhäufung von Reparaturproteinen am Schadensort ab. Die Proteine waren dann überall im Zellkern verteilt. «Es macht den Anschein, dass Formaldehyd die Proteine an anderen Orten der DNA gefangen hält, und sie deshalb nicht zur schadhaften Stelle gelangen können», mutmasst Clement.

In weiteren Experimenten will sie nun versuchen, die DNA zusammen mit den vernetzten Proteinen aus der Zelle zu extrahieren. Dann wird sich hoffentlich zeigen, ob es sich bei den «Gefangenen» tatsächlich um die vermuteten Reparaturproteine handelt.

In Kooperation mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung in Deutschland möchte Clement zudem einen neuen Schwellenwert für die gesundheitsgefährdende Konzentration von Formaldehyd definieren und so zu einer verbesserten Risikoeinschätzung beitragen.

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