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Die Zahl war erschreckend. Gab es in der Schweiz 1975 noch 35 Drogentote, wurde 1992 ein trauriger Höhepunkt von 419 Todesopfern erreicht. In den meisten Fällen war Heroin, alleine oder in Kombination mit anderen Substanzen, dafür verantwortlich.
Was war geschehen? Die Zahl der Konsumentinnen und Konsumenten von Heroin hatte sich in der Schweiz im selben Zeitraum von rund 3000 auf über 30'000 erhöht. Gleichzeitig war der Preis für Heroin zusammengebrochen: von 600 bis 800 Franken auf 30 bis 80 Franken pro Gramm.
Politik und Polizei in der Stadt Zürich sahen sich zum Handeln gezwungen. Sie taten dies unter anderem mit der Einführung von niederschwelligen Methadonprogrammen (ab 1991) und heroingestützten Behandlungen (ab 1994). Gleichzeitig wurden im Sinne der Repression die offenen Drogenszenen am Platzspitz (1992) und Letten (1995) geschlossen.
Den Auswirkungen dieser Politik gingen Carlos Nordt und Rudolf Stohler an der Klinik für Soziale Psychiatrie und Allgemeinpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) in einer Studie nach, die soeben in der Zeitschrift «Drug and Alcohol Review» veröffentlicht wurde.
Erstmals untersuchten sie für den Zeitraum von 1975 bis 2007 den Zusammenhang zwischen Repression, Methadon- und Heroinbehandlungen und der Zahl der Drogentoten in der Schweiz.
Übereinstimmend mit Forschungsergebnissen aus anderen europäischen Ländern konnten sie zeigen, dass die kontrollierte Abgabe die Zahl der Drogentoten auf einen Viertel zu senken vermochte. Allerdings nahm die Zahl der Drogentoten nicht sofort ab, sondern erst nach 1996 – also fünf Jahre nachdem das Behandlungsangebot mit Methadon eingeführt worden war.
Die polizeiliche Repression dürfte gemäss der Studie zumindest zu dieser Zeitverzögerung beigetragen haben. Die Repression, gemessen an der Zahl der Verzeigungen von Heroin-Konsumenten, war zwischen 1991 und 1997 doppelt so hoch wie in den Jahren davor und danach. Gleichzeitig war die Zahl der Drogentoten – unter Berücksichtigung der jeweiligen Zahl der Heroinabhängigen – im selben Zeitraum um 30 Prozent höher.
Die Autoren halten sich zwar zurück, eindeutige Ursache-Wirkung-Zusammenhänge zu postulieren. So hat sich gezeigt, dass die Zahl der Drogentoten über die Jahre ohnehin beachtlichen Schwankungen unterliegt. Zudem könnte die erhöhte Repression mit einer erhöhten Sensibilisierung für das Thema «Drogentote» in jener Zeit einhergegangen sein.
Dies könnte dazu geführt haben, dass Todesfälle von Drogensüchtigen häufiger auf den Drogenkonsum zurückgeführt wurden. «Der Kanton Basel-Stadt hat aufgrund solcher Unwägbarkeiten vor einigen Jahren gänzlich aufgehört, die Zahl der Drogentoten zu benennen», so Nordt.
Trotzdem: Die Studie gibt ein erstes Mal Hinweise auf mögliche Auswirkungen der Repression auf die Zahl der Drogentoten. Wie aber lässt sich der Effekt erklären? Die Verzeigung eines Drogensüchtigen führt ja nicht zu dessen Tod. Nordt erklärt sich den Zusammenhang über den erhöhten Stress, dem Drogensüchtige bei vermehrten Polizeikontrollen und Verzeigungen ausgesetzt sind. Dies könne etwa zu Überdosierungen führen.
Umgekehrt konnten die beiden Wissenschaftler nachweisen, dass die Zahl der Drogentoten auch einen Einfluss auf das Ausmass der Repression hat. Die Studie zeigt, dass die Zahl der Verzeigungen wesentlich durch die Zahl der Drogentoten der beiden Vorjahre bestimmt wird. Bei einer grösseren Zahl von Drogentoten steige der gesellschaftliche und politische Druck auf die Polizei, «etwas gegen das Drogenproblem zu unternehmen», sagt Nordt.
In den 1990er Jahren könnte sich daraus ein eigentlicher Teufelskreis entwickelt haben: mehr Repression – mehr Drogentote – mehr Repression – mehr Drogentote. Der Kreislauf konnte erst Ende der 1990er Jahre durchbrochen werden – die Zahl der Konsumenten wie auch der Drogentoten ist seither leicht gesunken.
Massgeblich dazu beigetragen hat die Tatsache, dass inzwischen die Hälfte der Heroinkonsumenten an einem Behandlungsprogramm teilnehmen. Die Autoren der Studie plädieren denn auch dafür, diese beizubehalten.
Was die Repression anbelangt, müsse hinterfragt werden, ob die damit anvisierten Ziele erreicht wurden. Zwar habe die Repression dazu geführt, dass es keine offenen Drogenszenen mehr gebe. Andere Ziele seien aber nicht erreicht worden, wie Nordt und Stohler in einer vorgängigen Studie in der Zeitschrift «International Journal of Drug Policy» zeigen konnten: Heroin ist nach wie vor in derselben Menge auf dem Schwarzmarkt erhältlich und der Preis konnte nicht hoch gehalten werden.
«Während medizinische Behandlungen ihre Wirksamkeit ständig in Studien nachweisen müssen, scheint dies für die Repression nicht zu gelten», so Nordt. Wenn die Repression anscheinend negative Auswirkungen hat, gleichzeitig aber einige ihrer Ziele nicht erreiche, müsse die Frage erlaubt sein, wie sinnvoll sie sei. Die beiden Autoren wollen für weitere Studien versuchen, Zahlen über Drogenkonsum, Behandlungsangebote und Repression in anderen europäischen Ländern zu sammeln und zu vergleichen.