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Simon Bornschier: Nicht wirklich. Sie passen sehr gut zur Ideologie einer SVP und den Kampagnen, die sie bisher geführt hat. Eine Partei muss ihr Kernthema immer wieder an konkreten Fragen festmachen, wenn sie die politische Agenda bestimmen möchte. Das hat die SVP mit der Minarettinitiative getan. Die Deutschen hingegen sind eher ein Schweizer Spezialthema.
Sehen Sie einen bestimmten Politikstil hinter dem Vorgehen rechtspopulistischer Parteien?
Ich würde es eher als Ideologie bezeichnen, denn es geht nicht einfach um die Mobilisierung gegen das Establishment mit wechselnden Themen. Die SVP hat eine Kernideologie, und fast alle ihre Themen sind ein Teil davon. Sie gehört zu einer Gegenbewegung gegen die Neue Linke, die sich in den 1970er-Jahren formierte und danach die Agenda bestimmte. In den 1990er-Jahren schaffte es die SVP, ihrerseits eine Gegenbewegung zu mobilisieren mit genau entgegengesetzten Themen.
Welche Themen sind das?
Während die neue Linke universalistische Prinzipien wie Geschlechtergleichheit, Solidarität mit der Dritten Welt und die Betonung individueller Rechte vertritt, argumentieren rechtspopulistische Parteien, dass es Traditionen gibt sowie ein gewachsenes Verständnis von der nationalen Gemeinschaft und dass diese zu verteidigen genauso legitim ist, wie das Verteidigen von liberalistischen Werten.
Gerade bei der Minarettinitiative hat die SVP auch liberalistisch argumentiert gegen die Diskriminierung von Frauen im Islam.
Das halte ich für sehr unglaubwürdig, weil sich rechtspopulistische Parteien sonst auch nicht für die Rechte der Frauen stark machen.
Schliessen Sie sich der kürzlich im Tages Anzeiger zu lesenden Meinung an, man solle die Kampagnen der SVP nicht zu ernst nehmen, weil sie aus der Freude am Tabubruch entstünden und jede Empörung ihr nur nütze?
Ich finde das Vorgehen der SVP nicht so harmlos, weil sie die liberalen Komponenten unserer Demokratie in Frage stellt. Sie verabsolutiert den Volkswillen, respektiert aber nicht die Gewaltenteilung und die liberalen Grundrechte.
Ich glaube nicht, dass hinter den Kampagnen nur die Freude am Tabubruch steht, denn es gibt eine Ideologie, in die alles hineinpasst. Aber es hilft der SVP, wenn sie etwas als Tabubruch präsentieren kann und dann die gesamte politische Klasse, wie sie es nennt, gegen sich hat und die einzige Partei ist, die ausspricht, was ein Teil der Bevölkerung denkt.
Hat die SVP im europäischen Vergleich mit anderen rechtspopulistischen Parteien mehr als nur den Stil gemeinsam? Gibt es ideologische Berührungspunkte?
In meinen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass es kaum ideologische Unterschiede zwischen rechtspopulistischen Parteien gibt. Die europäische Integration hat zwar bei der SVP eine wichtigere Rolle gespielt als etwa beim Front national in Frankreich oder der FPÖ in Österreich.
Aber im Kern geht es allen rechtspopulistischen Parteien darum, die kulturellen Eigenheiten von Volksgruppen zu verteidigen. Die rechtspopulistischen Parteien von heute bedienen sich im – im Gegensatz zur alten radikalen Rechten, die sich vom Faschismus ableitete, ein und derselben Ideologie: der Bewahrung eines Ethnopluralismus.
Ausserdem sind rechtspopulistische Parteien explizit pro-demokratisch. Allerdings dient die direkte Demokratie bei ihnen dem Zweck, den Volkswillen gegen die Eliten zu verteidigen, nicht aber zu besseren politischen Entscheiden zu kommen.
Was machen andere Parteien in der Schweiz falsch? Sollten sie sich vom Populismus inspirieren lassen?
Die SVP schafft es, obwohl sie in der Regierung ist, sich als Oppositionspartei zu profilieren. Das kann sie, weil sie zwei Flügel hatte: einen pragmatischen in der Regierung und die heute dominante Zürcher Sektion. Darum konnte sie ein Doppelspiel spielen. Durch die veränderte Parteienlandschaft seit den 1980er Jahren gibt es eine neue kulturelle Konfliktlinie, in der die SVP eine klare Position hat – im Gegensatz zu den Mitte-Rechts-Parteien.
Und auch für linke Parteien gäbe es eine Chance, eine stärkere Gegenposition zu finden. Sie debattierten bisher wenig über das Thema Multikulturalismus. Sie könnten besser auf Ängste reagieren, die durch bestimmte Einwanderungsgruppen ausgelöst werden, indem sie zum Beispiel argumentierten, dass nach ein bis zwei Generationen die Menschen säkularisiert und deshalb freiheitliche Werte nicht gefährdet seien.
Zeichnet sich die SVP im europäischen Kontext durch eine besonders krasse Rhetorik und Bildsprache aus? In Deutschland etwa wären solche Kampagnen kaum denkbar.
Es kommt drauf an. Deutschland ist ein Spezialfall. Dort muss sich eine rechtspopulistische Partei viel stärker gegenüber faschistischen Positionen abgrenzen. Die italienische Lega Nord hingegen führt ganz ähnliche Plakatkampagnen durch wie die SVP. Auch die FPÖ führt einen ganz ähnlichen Diskurs über das Beibehalten von Andersartigkeit und gegen eine kulturelle Durchmischung.
Der französische Front National wiederum ist im Vergleich mit der SVP inzwischen eher gemässigter. Seine Positionen liegen näher am französischen Mainstream. In der letzten Kampagne vertrat er einige Werte wie die strenge Trennung von Religion und Staat, sozialer Aufstieg, nationale Identität, die zum Kern der französischen Republik gehören.
Sind rechtspopulistische Parteien aus Demokratien überhaupt wegzudenken?
Sie vertreten eine Klientel. Insofern kann man sie nicht verurteilen. Notwendig sind sie allerdings nicht. Es gibt Länder wie Deutschland und England, wo die etablierten Parteien verhindert haben, dass solche Parteien aufkommen. Die wichtigen Themen rechtspopulistischer Parteien wie Migration werden aber dennoch verhandelt. In Deutschland besetzte etwa die CDU zeitweise die entsprechenden Themen, als die Rechtsextremen auf Länderebene Erfolg hatten.
So wurde in den 1990er-Jahren in Deutschland das Asylrecht eingeschränkt. Danach rückte die CDU wieder in die Mitte und vertrat auch sonst eine offene, liberale Haltung. Wichtig war dabei, dass die SPD nicht solche starken Gegenpositionen einnahm wie etwa die Linke in Frankreich, die damit den Erfolg des Front National begünstigte.
Man sieht daran, dass die gleichen Ursachen, wie gesellschaftliche Wandlungsprozesse und ein Potenzial an Menschen mit traditionalistischen und kommunitaristischen Einstellungen, nicht zwangsläufig zum Erfolg rechtspopulistischer Parteien führen.