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Am kommenden Wochenende findet an der Universität Zürich ein Workshop statt zum Thema «Identitäten in Bewegung – Migration im Film». Elke Frietsch, Sie sind Oberassistentin am Orientalischen Seminar und haben die Tagung mitorganisiert. Was macht Film für Sie als Kunstwissenschaftlerin und Gender-Studies-Expertin interessant?
Elke Frietsch: Der Film eignet sich durch seine spezifisch technischen Möglichkeiten bewegter Bilder gut, um das Thema Migration umzusetzen. In der frühen Phase des Films wurde Filmen – ähnlich wie Fotografien – Authentizität zugeschrieben. Das führte dazu, dass häufig stereotype Bilder ‚des Fremden’ übermittelt wurden, um die eigene Identität zu stärken. Extremformen nahm diese Imagination des Fremden im Propagandafilm der 1930er und 40er Jahre an. Aus historischer Perspektive ist eine Analyse solcher Filme sehr interessant.
Interessant ist auch, wie seit einigen Jahrzehnten das Thema Migration in Filmen eingesetzt wird, um sich auf differenzierte Weise mit Identitäten, spezifischen Problemen von Aus- und Einwanderung, zu beschäftigen. Häufig hängt Migration mit Gewalterfahrung zusammen – etwa bei der Flucht aus einer Diktatur.
Dabei kommt der Kategorie Geschlecht grosse Bedeutung zu. Diktaturen üben zumeist geschlechtsspezifische Formen der Gewalt aus. Auch in der neuen Heimat machen Männer und Frauen bisweilen unterschiedliche Erfahrungen. Das wird im zeitgenössischen Film zu Migration thematisiert.
Greifen Schweizer Regisseurinnen und Regisseure das Thema Migration auf eine ganz eigene Weise auf, die sich von Filmen aus dem arabischen Raum zum Beispiel unterscheidet? Man denke nur an bekannte Filme wie «Reise der Hoffnung» von Xavier Koller oder den Film «Das Fräulein» von Andrea Štaka, der ja auch auf der Tagung gezeigt und diskutiert wird.
Das Thema Migration wird von Regisseurinnen und Regisseuren im europäischen Kontext anders thematisiert als im Nahen Osten. Andrea Štaka beispielsweise ist in Zürich aufgewachsen. Sie setzt sich in dem Film «Das Fräulein» u.a. mit dem Krieg in Jugoslawien auseinander. Sie selbst konnte den Krieg in Jugoslawien durch den Migrationshintergrund ihrer Familie mit einer ‚Aussenperspektive’ wahrnehmen.
Häufige Themen von Filmen, die sich im europäischen Kontext mit Migration beschäftigen sind auch Generationenkonflikte, Ost-West-Problematik, Armut oder Prostitution. Im nahöstlichen Kontext sind die Themen zum Teil anders gelagert und stark durch aktuelle politische Konflikte geprägt: Der Film «Alles für meinen Vater» von Dror Zahavi etwa beschäftigt sich mit dem Thema «Selbstmordattentat».
Ein junger Palästinenser sieht keinen anderen Ausweg, um die Ehre seines Vaters wiederherzustellen, als sich auf einem Markt in Tel Aviv in die Luft zu sprengen. Doch die Selbstzündung misslingt. Weil Sabbat ist, muss der junge Mann zwei Tage warten, bis ihm ein ahnungsloser Elektrohändler einen neuen Zünder liefert. So gewinnt er 48 Stunden Lebenszeit um die jüdische Kultur und verschiedenste Menschen in einem geteilten Land kennenzulernen….
Das Bordell wird in einem der Vorträge als Begegnungsraum zwischen Ost und West thematisiert. Wie kann man das verstehen?
Einer der Vorträge beschäftigt sich mit den Filmen «Import/Export» von Ulrich Seidl und «Revanche» von Götz Spielmann. In diesen Filmen geht es um Arbeitsmigration von Ost nach West, aber auch um Migrationsbewegungen zwischen Milieus und Klassen sowie in Spielmanns Film auch um die interne Migration Land-Stadt. Diese Migrationsbewegungen sind an Geschlechtlichkeiten gebunden: die Migration von Ost nach West wird in beiden Filmen durch Sexarbeiterinnen, die aus ehemaligen Ländern des Ostblocks stammen, verkörpert.
Das Bordell wird damit zum Ort transkultureller Begegnungen, die sich sowohl als Begegnungen von Machtausübung und Begehren als auch Fremdheit definieren lassen, wobei die Darstellung dieses Raumes sich bei den beiden Filmen unterscheidet. Während bei Ulrich Seidl das Bordell ausschliesslich Ort der Erniedrigung und kapitalistischer Ausbeutung ist, dient es in Spielmanns Film auch als Ort des ‚Neuanfangs’.
Es wird zu einem Universum differenzierter Identitäten, in dem sich neben den Prostituierten aus ehemaligen Ländern des Ostblocks weitere Migranten finden – diejenigen, die vom Land in die Grossstadt Wien kamen und scheiterten.
Während die ersten Filme zur Migrationsthematik in den 70ern noch hauptsächlich die Integrationsschwierigkeiten der Eingewanderten und die sie umgebende soziale Kälte thematisierten, stellten aktuellere Filme das Spannungsfeld zweier oder mehrerer Kulturen in den Vordergrund. Wie entwickelte sich das Thema Migration in Film und Fernsehen von den 40er Jahren bis heute?
In den 1940er Jahren war das Thema Migration im Film von sehr vielen Stereotypen geprägt. Zuwanderer erschienen oft als ‚Fremde’, von denen man sich abzugrenzen versuchte. Auch ein Genre wie der Heimatfilm lebte auf gewisse Weise von der Angst vor dem Fremden. Seit den 1970er Jahren werden verstärkt Probleme von Einwanderern beschrieben sowie Gewalterfahrungen.
Heute geht es auch um die Thematisierung hybrider Kulturen. Nach wie vor dient der Film aber nicht nur einer differenzierten Thematisierung von Migration, sondern bisweilen auch der Darstellung von Stereotypen und Ausgrenzungen. Zwei Vorträge werden sich beispielsweise mit der Medialisierung von Grenzen beschäftigen.
Eine Variante der Migration ist die Rückkehr ins Heimatland. Wie wird dieses Thema im Film aufgegriffen?
Rückkehr ins Heimatland ist oft mit Scheitern verbunden – etwa nach einer Abschiebung. Auch ein Neubeginn ist möglich, wenn es sich um freiwillige Rückkehr handelt. Beispielsweise, falls gesellschaftliche oder familiäre Veränderungen die Rückkehr ermöglichen. Darüber hinaus können auch Generationenkonflikte, Integrationsprobleme oder produktiver Austausch zwischen den Kulturen Thema sein.