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Eine neue Schweizer Studie zum Placeboeinsatz in der Hausarztmedizin zeigt, dass viele Behandlungen auf Placebos zurückgreifen. Nur 28 Prozent der befragten Schweizer Hausärztinnen und Hausärzte setzen niemals Placebo ein. Trotz der Alltäglichkeit und der zahlreichen Fragen, die der Placeboeinsatz aufwirft, wurde bislang nur wenig über Placebo geforscht.
Die Tagung «Placebo in der Medizin» hatte sich zum Ziel gesetzt, einige der zentralen Fragen des Placeboeinsatzes zu klären. Grundlage war die aktuelle Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats der deutschen Bundesärztekammer, deren Ergebnisse erstmalig auf der Tagung der Öffentlichkeit vorgestellt wurden.
Die Referate umrissen die aktuellsten Erkenntnisse zu den Grundlagen des Placeboeinsatzes, den Mechanismen des Placeboeffektes, zur Geschichte des Placebos und zu den mit dem Placeboeinsatz verbundenen medizinischen, ethischen und rechtlichen Fragestellungen. Für den Einstieg in die Thematik war die Klärung der Placebobegriffe wie auch der Placebogabe nötig, die neben dem Medikamentenersatz auch die Placeboprozedur, zum Beispiel die Placebo-Akkupunktur und die Placebo-Operation umfasst.
Als echte oder reine Placebos werden Scheinmedikamente bezeichnet, die nur eine pharmakologisch unwirksame Substanz und gegebenenfalls Hilfsstoffe wie Farbstoffe enthalten.
Pseudo-Placebos, auch als «unreine Placebos» bezeichnet, spielen vorwiegend in der ärztlichen Praxis eine Rolle. Es handelt sich dabei um wirksame Medikamente, die allerdings bei der Erkrankung kaum helfen. Prominentes Beispiel: Antibiotika-Gabe bei viraler Erkrankung – Antibiotika wirken jedoch nur bei bakteriellen Infektionen.
Die Rolle des Arztes sowie das therapeutische Setting sind nicht nur für den allgemeinen Therapieerfolg, sondern gerade auch für den Placeboeffekt von zentraler Bedeutung.
Es war für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung erstaunlich, dass es bislang keine verbindlichen ethischen Richtlinien hinsichtlich der Placebogabe im therapeutischen Setting und in klinischen Studien gibt. Bei einer internationalen Vereinheitlichung könnte die aktuelle Fassung der Deklaration von Helsinki 2008 eine Grundlage sein, die einige Regeln für den Placeboeinsatz in der Forschung definiert.
Neben der ethischen Frage bestehen sowohl beim Placeboeinsatz in der Forschung wie in der therapeutischen Praxis Unsicherheiten und Unkenntnisse darüber, inwieweit eine Placebogabe in rechtlicher Hinsicht erlaubt oder verboten ist.
In der Forschung erfolgt die Placebogabe nach den Regelungen des Heilmittelsrechts und nach den international aufgestellten Regeln für die Durchführung von klinischen Studien (GCP-Richtlinien). In der therapeutischen Praxis dagegen, gelten für die Placebogabe die allgemeinen Regelungen.
Rechtsprofessorin Brigitte Tag erläuterte, dass diese sowohl die Lex artis wie die Selbstbestimmung des Patienten beachten muss. Wer heilt, hat Recht – diese Aussage stimmt heute nicht mehr – selbst wenn es sich «nur» um eine Placebogabe handelt.
Denn im Regelfall ist mit jeder Placebogabe immer auch eine unterlassene Medikamentenabgabe verbunden, was für den Patienten nicht nur gesundheitlich, sondern auch wirtschaftlich von grosser Bedeutung sein kann. Die Aufklärungspflicht kann nur in eng begrenzten Fällen eingeschränkt werden.
Unter der Bezeichnung «therapeutisches Privileg» wurde kontrovers diskutiert, ob die Aufklärungspflicht des Arztes ihre Grenze findet, wenn die Aufklärung für den psychischen Zustand des Patienten zu belastend wäre.
Wird dem Patienten die Placebogabe verheimlicht, um den angestrebten Behandlungserfolg nicht zu gefährden, ist das problematisch, denn die Autonomie des urteilsfähigen Patienten ist davon betroffen. Doch die Aufklärung über die Placeboabgabe könne den Placeboeffekt gefährden.
Neuere Studien belegen jedoch, dass der Placeboeffekt auch beim informierten Patienten auftritt – was sich nur durch die grosse Bedeutung des therapeutischen Settings erklären lässt.