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Benedikt Korfs Forschungsgebiet sind gewalttätige Konflikte um natürliche Ressourcen. Dazu hat der Humangeograf unter anderem während des Bürgerkriegs in Sri Lanka geforscht: Korf interessierte, wie sich der Krieg auf den Alltag der Zivilbevölkerung auswirkte, wie gewöhnliche Bauern- und Fischerfamilien ihr Überleben sicherten.
Das Interesse am konkreten Alltag kommt nicht von ungefähr: Korf kennt Sri Lanka als Praktiker und als Forscher: als Berater arbeitete er für verschiedene Entwicklungsprojekte im Bürgerkriegsgebiet. Er bildete lokale Mitarbeiter aus, die für die Dorfentwicklung und die Ernährungssicherung arbeiteten.
Unterschiedliche Lebensumstände
Bei seiner Arbeit fiel ihm auf, wie unterschiedlich die Probleme waren, mit denen die Bevölkerung konfrontiert war: «Manche Bauern kamen überhaupt nicht mehr auf ihre Felder, weil diese in umkämpften Gebieten lagen», erzählt Korf, «und die Fischer konnten wegen der Militärmarine nur noch zu bestimmten Tageszeiten aufs Meer.»
Andere Bauern hingegen konnten ihre Felder zwar noch bestellen, die Produkte aber nicht mehr auf den Markt in die Stadt bringen: Als Tamilen wurden sie zu lange an den militärischen Checkpoints aufgehalten, da sie im Verdacht standen, zu den rebellischen Tamil Tigers zu gehören. Ihr Unglück wurde zum Vorteil für ihre muslimischen Nachbarn, die den Handel mit den Produkten übernahmen und so zu einigem Wohlstand kamen – und zum zweifelhaften Ruf, Kriegsgewinnler zu sein.
Die Lebensumstände unterschieden sich also auch auf kleinem Raum gewaltig. Um mehr darüber zu erfahren, führte Benedikt Korf mit einem Team von Sri Lankischen und deutschen Studierenden eine breit angelegte Dorfstudie durch: Sie befragten Menschen aus fünf verschiedenen Ortschaften darüber, wie sie sich mit dem Krieg arrangierten und mit welchen Strategien sie ihr Überleben sicherten. Die Dörfer lagen nur wenige Kilometer voneinander entfernt, und doch war die Situation in jedem wieder anders.
Inflation der Herrschaftssysteme
Entgegen dem gängigen Bild von chaotischen Kriegswirren konnte bei alldem jedoch von Anarchie keine Rede sein, wie Korf feststellte. Viel mehr bestimmte eine Inflation sich teilweise widersprechender Regel- und Herrschaftssysteme das Leben der Menschen. Einerseits galten die Gesetze des Staates Sri Lanka weiterhin, und auch die religiösen und kulturellen Traditionen hörten wegen des Krieges nicht einfach auf zu existieren.
Hinzu kamen neu die Machtansprüche der Rebellen. Wer wo wie viel zu sagen hatte, änderte sich im Verlauf des Kriegs ständig. Die Menschen mussten sich laufend an die jeweiligen Herrschaftsverhältnisse passen, manchmal im Verlauf des gleichen Tages: Einige Gebiete waren tagsüber unter Regierungskontrolle, nachts aber in Händen der Rebellen.
Die Zivilbevölkerung war jedoch keine passive Masse, die von den Verhältnissen bloss herumgetrieben wurde, wie Korfs Untersuchung zeigte. Auch jene Menschen, die nicht an eigentlichen Kampfhandlungen teilnahmen, waren Akteure: Indem sie ihr Leben zu gestalten suchten, gestalteten sie auch ihr Umfeld.
Das Ausmass, in dem sie dies tun konnten, und ob es ihnen gelang, hing stets von den konkreten Umständen ab: Während die muslimischen Händler in einigen Gebieten von der Tatsache profitierten, dass der Bürgerkrieg einen Graben zwischen den singhalesischen und der tamilischen Bevölkerungsteilen Sri Lankas aufriss, verloren muslimische Bauern im von den Rebellen kontrollierten Gebiet ihr Land und damit ihre Lebensgrundlage.
Pauschale Analysen aus der Ferne
Die empirische Forschung vor Ort brachte Benedikt Korf dazu, bestehende Theorien und Studien über Bürgerkriege kritisch zu betrachten: «Je länger ich mich damit befasste, desto mehr fiel mir auf, dass die bisherige Forschung mit sehr grobmaschigen Modellen arbeitet. Politologen operieren oft auf der Ebene der Nationalstaaten und schreiben dann pauschal über sogenannte ‚Konfliktländer’, wie wenn in dem betreffenden Land dauernd überall Gewalt herrschen würde!» Dem ist aber nicht so: «Selbst in einem Land wie Afghanistan gibt es relativ stabile Regionen», sagt Korf.
Doch ist es für den Verlauf der Geschichte überhaupt relevant, was dieser oder jener Bauer treibt? Korf ist davon überzeugt: «Genau diese lokalen Konflikte und kleinräumigen Unterschiede sagen sehr viel darüber aus, was einen bestimmten Krieg antreibt. Allerdings ist das bisher schlecht erforscht.»
Tatsächlich studieren nur wenige Bürgerkriegsforscher ihren Forschungsgegenstand vor Ort. In manchen Regionen wäre dies zu gefährlich, und auch dort, wo es möglich ist, bleibt es aufwändig: Es braucht Sprachkenntnisse, Wissen über die lokalen Gebräuche, Fingerspitzengefühl und nicht zuletzt ein Netzwerk von verlässlichen Kontaktpersonen vor Ort. Kein Wunder, ist diese Art von qualitativer empirischer Bürgerkriegsforschung selten.