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Mäuse sehen sehr schlecht. Trotzdem reagieren sie blitzschnell auf Gefahren, die sie über die Schnurrhaare wahrnehmen. Um eine Verhaltensreaktion zu erzeugen, werden diese Sinneseindrücke in der Grosshirnrinde – dem so genannten Kortex – verarbeitet.
Diese Signalübertragung und Verarbeitung geschieht rasend schnell – nur einige zehn bis hundert Millisekunden dauert der Weg vom visuellen oder taktilen Input bis hin zu den verarbeitenden Zellen. Die Verarbeitung innerhalb des kortikalen Netzwerks von mehreren tausend Neuronen findet sogar im Bereich von wenigen Millisekunden statt.
Wie die Signalübertragung zwischen den Zellen verläuft und wie Nervenzellen zusammenarbeiten, ist bisher in Experimenten mit einzelnen Zellen untersucht worden. Klar ist, dass jede Zelle Signale von vielen Nachbarzellen erhält, diese verarbeitet und über einen Axon genannten Fortsatz an andere Nervenzellen weiterleitet.
Die Nervenzelle reagiert erst, wenn sie von genügend anderen Zellen erregt wird. Allerdings nimmt sie nicht alle eingehenden Aktionsbefehle gleich wichtig. «Die Botschaften von einigen Nervenzellen bewertet sie hoch, die von anderen sind ihr ziemlich egal. Auf welche sie achten muss, hat die Zelle gleichsam durch Erfahrung gelernt, denn was häufig benutzt wird, findet seinen Niederschlag im Gehirn», erklärt der Physiker Benjamin Grewe, Doktorand am Lehrstuhl von Professor Fritjof Helmchen am Institut für Hirnforschung der Universität Zürich.
Für die Hirnforschung von grossem Interesse ist es, die Muster und Signalwege im Dickicht der Nervenzellen im Detail nachvollziehen zu können.
Was bisher schwierig war, wird jetzt durch ein neues Mikroskopierverfahren einfacher. Benjamin Grewe hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich «in vivo» neuronale Impulsmuster optisch mit hoher zeitlicher Auflösung im Gehirn von Mäusen beobachten lassen.
Dazu werden die Tiere anesthäsiert, so dass die Forscher die neuronale Netzwerkaktivität unter dem Mikroskop direkt verfolgen können.
«Wird eine Nervenzelle aktiviert, nimmt diese Kalzium-Ionen auf», erläutert Grewe. Der Trick besteht nun darin, dass er die Zellen mit einem Farbstoff einfärbt, der Kalzium-Ionen bindet und dadurch die Zellaktivierung anzeigen kann.
Bei dem Scanverfahren wird ein Laserstrahl aus einem gepulsten Infrarotlaser auf einen Lichtpunkt fokussiert. Die Fluoreszenz des Farbstoffes wird nur innerhalb dieses Fokuspunktes angeregt. Befindet sich dieser Punkt innerhalb einer Zelle, fluoresziert diese grün. Das Besondere daran ist, dass die Fluoreszenzstärke des Kalzium-sensitiven Farbstoffes zunimmt, wenn die Zelle mehr Kalzium-Ionen aufnimmt, also aktiv ist.
Auf diese Weise werden die elektrischen Signale der Zelle in Lichtsignale umgesetzt. Der Nachrichtenweg zwischen den Gehirnzellen lässt sich quasi optisch nachverfolgen. «Durch dieses Verfahren kann man zum einen die Grösse, den Zelltyp und das Aussehen der Zellen visualisieren. Zum anderen bestimmen wir ihre Lage und Organisation innerhalb der Schichten des Neokortex», erklärt Grewe.
Verblüffend am neuen Mikroskopie-Verfahren: Die Informationswege von mehreren Zellen werden gleichzeitig mit grösserer Geschwindigkeit erfasst, als es bisher möglich war. «Uns geht es darum, eine neuronale Informationskaskade nachzuweisen, wir können das mit Hilfe des neuen Verfahrens nun mit fast einer Millisekunde Genauigkeit», betont Grewe.
Während mit den bisher üblichen Zwei-Photonen-Mikroskopen die kurzen Nervenzellimpulse mit einer zeitlichen Auflösung von 10–30 Herz gemessen werden können, kann mit dem neuen Mikroskop die Aktivität von bis zu hundert Neuronen mit einigen hundert Herz erfasst werden. Gespeichert werden die vom Mikroskop aufgenommenen Daten mit einer ebenfalls am Institut für Hirnforschung entwickelten Software.
Die Software ermöglicht es, den Hirnforschern eine Fülle von Daten aufzunehmen, die sie später auswerten können. Seine Forschungsergebnisse hat Benjamin Grewe im April im Journal «Nature Methods» veröffentlicht.