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Ralf Jochmann ist Biologe. Sein Fachgebiet sind Kühe und Rinder. Genauer: Kuh- und Rinderdung. «Ich sag immer, ich arbeite mit Kuhscheisse», lacht der junge Doktorand am Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften an der Universität Zürich. Weniger salopp ausgedrückt: Ralf Jochmann forscht über die Auswirkungen von Ivermectin auf die Dungfauna. Unterstützt wird seine Arbeit durch die gemeinnützige Velux-Stiftung.
Ivermectin ist ein hochwirksamer und seit rund 25 Jahren ein gängiger und verlässlicher Wirkstoff gegen Wurmkrankheiten bei Rindern und Kühen. Die Tiere scheiden ihn über den Dung fast vollständig wieder aus. «Aber auch für Menschen als Fleisch- oder Milchkonsumenten ist Ivermectin bedenkenlos», sagt Jochmann.
Unklar hingegen sind die Folgen für die Kleinstlebewesen, die den Kuhfladen bevölkern, und für den Boden. Dungbewohner wie Fliegen, Käfer, Milben und andere Insekten sind zusammen mit Pilzen und Bakterien verantwortlich dafür, wie schnell der Kuhfladen verrottet.
Da ist deshalb von Bedeutung, weil Rinder und Kühe um ihre Fladen einen Bogen machen und das Gras in der unmittelbaren Umgebung nicht mehr fressen, bis der Dung abgebaut ist. «Ergo», meint Biologe Jochmann, «je länger der Abbau dauert, desto kleiner wird die Fläche, auf der die Tiere fressen.» Je nach Futterzusammensetzung, Wetter und geographischer Lage bleibt Kuhdung einige Wochen bis einige Monate lang auf der Weide liegen. Bei reichlichem Futterangebot «scheisst» eine Kuh bis zu zehn Mal pro Tag, insgesamt bis zu 30 Kilogramm.
Gewartet, bis der Fladen fällt
Hinter Jochmann liegen zwei Jahre Feld- und ein Jahr Laborarbeit. Damit ist die Phase der Datenerhebung abgeschlossen. Nun geht es an die Auswertung. Insgesamt hat der Biologe über 250 Fladen von Rindern und Kühen aus der ganzen Nordschweiz gesammelt. Allesamt von Tieren, welche die Bauern zuvor nicht mit Ivermectin behandelt hatten.
Die Datensammlung war eine Geduldsprobe. «Ich ging auf die Weide und habe gewartet, bis eine Kuh ihr Geschäft verrichtet hat», erklärt Jochmann. Dann habe er den Dung «sichergestellt», dabei die eine Hälfte mit Ivermectin «geimpft», die andere nicht. Der Dung blieb danach eine Woche lang unter freiem Himmel liegen, wurde ins Labor an die Universität Zürich Irchel transportiert und konnte sich dort vier Wochen lang «entwickeln».
Und was dann geschah, faszinierte Jochmann jedes Mal aufs Neue. Von den vielleicht tausend Arten von Organismen, die einen Kuhfladen besiedeln, konzentrierte er sich auf Insekten:
Die auffälligste unter den rund zweihundert Arten war Scathophaga stercoraria , die Gelbe Dungfliege. Die Larven dieser Fliegenart frassen sich durch den Dung. Die erwachsenen Gelben Dungfliegen paarten sich und lebten räuberisch von anderen Insekten. Meist von anderen Fliegen, die genauso gross wie sie selbst waren.
Aphodius fimetarius ist ein Dungkäfer, der sich in den Fladen eintunnelt. Dabei entstehen Hohlräume, die ihn durchlüften und mit Sauerstoff versorgen, was für den Abbauprozess wichtig ist. Wichtig sind die Gänge auch, weil durch sie andere Tiere in den Fladen eindringen können. Da der Kuhfladen bereits nach wenigen Stunden eine Kruste bildet, gibt es für viele Insekten keinen anderen Weg, an frischen und weichen Dung heranzukommen.
Schwingfliegen ( Sepsidae ) schliesslich benutzten die Gänge des Dungkäfers, um im Innern ihre Eier abzulegen. Die daraus entstehenden Larven waren wiederum eine Leibspeise für Kurzflügelkäfer ( Staphylinidae ).
150'000 Insekten bestimmt
Beobachten und staunend dem wilden Treiben zuzusehen, war das eine. Die Zählerei das andere. Eine Heidenarbeit. Oft konnte Jochmann die vielen Arten nur durch Kleinigkeiten unterscheiden. Dann musste er unter dem Mikroskop die winzigen Genitalien der Sepsis cynipsea mit der Pinzette auseinander falten, um ganz sicher zu sein, nicht doch eine Sepsis thoracica vor sich zu haben. Am Schluss waren insgesamt über 150'000 Insekten gezählt und bestimmt.
Und der Einfluss von Ivermectin auf das Leben im Dung? Noch sei es zu früh, eindeutige Aussagen über die Folgen auf die Dung-Biodiversität zu machen. Klar sei immerhin, dass etwa Schwingfliegen durch Ivermectin praktisch ausgerottet würden, andere Arten zumindest dezimiert. Zu den weniger empfindlichen Spezies gehören blutsaugende Stechfliegen, darunter auch eine Überträgerin der Blauzungenkrankheit, einer anzeigepflichtigen Rinder- und Schafseuche.
Die meisten Bauern in der Schweiz setzen Ivermectin sehr zurückhaltend ein, sagt Jochmann. Und deshalb gebe es momentan auch keine Anzeichen dafür, dass manche Dunginsekten aussterben. Und trotzdem sei nicht auszuschliesen, dass Anwendungen negative Folgen haben könnten, zum Beispiel, dass der Dung länger als sonst auf der Weide liegen bleibt. Der Grund: «Ivermectin bringt das natürliche Gleichgewicht der Dungfauna durcheinander.» Wie genau, wird Jochmann jedoch erst sagen können, wenn er seine Forschungen abgeschlossen hat.