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Porzellanherstellung in China

Das Wissen steckt im Körper

China ist berühmt für hauchdünnes Porzellan. Massenproduktion, feinste Qualität und Handarbeit schliessen sich dabei nicht aus. Wie das geht, zeigt die faszinierende Ausstellung «Abgedreht! China töpfert bodennah» im Völkerkundemuseum der Universität Zürich.
Sascha Renner

Mühsam mussten wir einst das Einlegen der Gänge erlernen, bevor wir die Autoprüfung bestanden. Nach Jahren der Praxis geht es nun spielend, ohne nachzudenken. Oder das Schreiben am Computer: Die Finger «wissen», wo die einzelnen Buchstaben liegen. Die Augen braucht es dazu nicht. Das sind Beispiele für «Körperwissen». Wissen, das im Körper gespeichert ist.

Töpfereimarkt in Jingdezhen, der Porzellan-Hauptstadt Chinas: Wandstärken nicht dicker als Eierschalen.

Der Begriff des Körperwissens ist ein zentraler in der Ausstellung «Abgedreht! China töpfert bodennah» im Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Die Ausstellung untersucht, wie in China seit Jahrtausenden und bis heute feinstes Porzellan hergestellt wird. Mit Wandstärken, die nicht dicker sind als eine Eierschale, stellt das berühmte chinesische Porzellan eine technische und künstlerische Meisterleistung dar.

Kulturspezifische Bewegungskonzepte

Das Geheimnis dahinter lautet: Körperwissen. Erst bestimmte Körperhaltungen erlauben das Verarbeiten von Porzellanerde in der für China typischen Weise. Die Handwerkerinnen und Handwerker arbeiten stets bodennah und vornübergebeugt – entweder auf dem Boden hockend im Lotussitz, am Strassenrand kauernd oder auf einem niederen Stühlchen sitzend. Es sind kulturspezifische Bewegungskonzepte, die sich in vielen weiteren, auch in handwerksfernen Lebensbereichen in China wiederfinden.

«In die angemessenen Körperhaltungen werden die Chinesen seit dem Säuglingsalter sozialisiert», erklärte Anette Mertens in ihrer Eröffnungsrede. Mertens, Sinologin und Töpferin, ist Gastkuratorin der Ausstellung und reist seit über 15 Jahren nach China, um die Keramikherstellung zu studieren. Besonders fasziniert sie der ausgeklügelte arbeitsteilige Prozess: Der Dreher, der Überformer, der Abdreher, der Glasierer, der Maler und der Brennmeister arbeiten in den Werkstätten Hand in Hand. Jeder sei ein Meister seines Arbeitsschritts.

Töpfereiwerkstatt in Jingdezhen: Der Dreher bereitet die Böden für verschiedene Gefässe vor.

12'000 Jahre alte Keramikfunde

Seit Jahrtausenden entsteht so in China Porzellan, das nicht nur durch seine Feinheit besticht, sondern auch massenhaft für den Weltmarkt produziert wird – und dies von Hand wie in alten Zeiten. Keramikfunde datieren 12'000 Jahre zurück. Der verblüffend dünnwandige und durchscheinende Gefässtyp kam vor 4000 Jahren auf. Charakteristisch ist das helle Anklingen, wenn man mit dem Fingernagel dagegen schnipst.

Fingerspitzengefühl gefragt: Durch das «Abdrehen» erhält der Rohling die gewünschte Wandstärke.

Verantwortlich für diesen Effekt ist der Arbeitsschritt des Abdrehens: Der Töpfer setzt den dickwandigen Rohling, der noch keine klar erkennbare Form hat, auf eine Töpferscheibe. Dann schleift er ihn mit einem scharfkantigen Werkzeug ab, bis die gewünschte Wandstärke erreicht ist. Das braucht viel Fingerspitzengefühl, denn das ungebrannte Gefäss zerfällt so leicht wie Zuckerguss.

Praktisches Wissen erforschen

All dies lässt sich anschaulich in der Ausstellung miterleben, dank Filmdokumenten von Christof Thurnherr – er betreut die Abteilung Visuelle Anthropologie am Völkerkundemuseum – und Fotografien von Kathrin Leuenberger. Thurnherr und Leuenberger dokumentierten jeden einzelnen Schritt des Produktionsprozesses. Zusammen mit Anette Martens reisten sie in die Stadt Jingdezhen, die bekannt ist als Porzellan-Hauptstadt Chinas.

Typischer Arbeitsschritt: Eine dickwandige Tonschale wird für das «Abdrehen» auf der Töpferscheibe zentriert.

Die Ausstellung, die mit den Begriffen Körperwissen und Körpergeschichte operiert, macht für das Publikum erstmals den Wert der «Technikethnologie» erfahrbar – ein Teilgebiet der Ethnologie, das Mareile Flitsch, Direktorin des Völkerkundemuseums seit 2008, nach Zürich brachte. Flitsch: «Wir leben in einer Zeit, in der handwerkliche Fertigkeiten immer weniger verbreitet sind, in der wir mit lauter Prothesen arbeiten. In einer solchen Zeit ist es wichtig, untergehendes praktisches Wissen zu erforschen, aber auch die Konsequenzen zu zeigen, wenn man die Hand still legt.»