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Ist die Todesstrafe gesundheitsfördernd? Sie finden das eine absurde Frage? Die Geschichte lehrt uns anderes. In der frühen Neuzeit zum Beispiel gewann man aus den Körpern von Hingerichteten Medizinalprodukte. So schauerlich diese Geschichte klingen mag, für Birgit Christensen ist es eines der weniger heiklen Beispiele, das einfach illustriert, wie der menschliche Körper immer wieder instrumentalisiert wurde.
Im obigen Beispiel geht es wenigstens nur um tote Körper. Was aber, wenn die Gefahr besteht, dass ein lebender Mensch instrumentalisiert wird? Dem grundrechtlichen Schutz von körperlicher Integrität und Würde des Menschen zum Trotz konstatiert Christensen auch in der heutigen westlichen Welt entsprechende Tendenzen. Neue technologische Möglichkeiten schaffen neue Bedürfnisse. «Bei der Transplantationsmedizin kann man sagen: eine Niere ist ein Objekt, eine Lunge ist ein Objekt, ein Herz ist ein Objekt – damit können sie auch zur Ware werden», sagt Christensen mit Blick auf den Schwarzhandel mit Organen.
Und auch in der Leihmutterschaft, bei der ein Frauenkörper eingesetzt wird, um ein fremdes Kind auszutragen, sieht sie die Gefahr einer Instrumentalisierung. Immer wieder ist das Recht daher gefordert, sich mit dem menschlichen Körper auseinanderzusetzen und regulierend einzugreifen. Zentral dabei ist, dass der Gesetzgeber vorsichtig vorgeht, wenn er solche Regeln schafft.
Die Geschichte zeigt auch Fälle, in denen gesetzliche Regelungen indirekt sogar physische Eingriffe in menschliche Körper provozierten, so beispielsweise bei Intersexuellen. Die heute geltenden gesetzlichen Regeln über den Personenstand bestimmen, dass ein Mensch bereits drei Tage nach seiner Geburt dem Zivilstandsamt gemeldet werden muss – und zwar als Mädchen oder Knabe. «Dadurch bekam man den Eindruck, es gebe nur Mädchen und Knaben bzw. Frauen und Männer», sagt Birgit Christensen. Und was nicht passte, wurde passend gemacht – Intersexuelle wurden zwangsweise auf ein Geschlecht hin operiert.
Zwar gab es dafür streng genommen keine gesetzliche Grundlage. Diese Zwangsoperationen verstossen gegen die Menschenrechte. Aber das Recht hatte mit seiner klaren Begrenzung auf die Möglichkeiten «Mann/Frau» mittelbar festgelegt, wie ein «normaler» Körper auszusehen hat. Und die Medizin hat es möglich zu machen, Kindern ein Leben ausserhalb dieser rechtlich geschaffenen Normalität zu ersparen.
Ältere Rechtsordnungen hatten dagegen noch eine viel liberalere Haltung zur Frage der Intersexualität. Im legendären Allgemeinen Preussischen Landrecht von 1794 fand sich beispielsweise eine Norm, die es Intersexuellen ermöglichte, nach vollendetem 18. Lebensjahr selbst zu entscheiden, welchem Geschlecht sie zugehören wollten – eine Freiheit, die heute angesichts des geltenden Personenstandsrechts undenkbar ist. Warum diese Freiheit abhanden kam, ist eine der Fragen, die Birgit Christensen untersuchen möchte.
Ihr geht es in ihrem Projekt darum, Wendepunkte zu untersuchen, an denen sich im Recht etwas in der Wahrnehmung des menschlichen Körpers und im Umgang mit ihm änderte. Dabei interessiert es sie auch, inwiefern es Zusammenhänge mit Entwicklungen in Gesellschaft, Literatur und Wissenschaft gibt, da sie von einer Wechselwirkung von Recht und Gesellschaft ausgeht.
Sie hat sich für ihre Untersuchung ein grosses Feld vorgenommen: Von der Antike bis zur Gegenwart, vom Strafrecht mit seiner Geschichte der Körperstrafen bis hin zu zivilrechtlichen Grundfragen des Personenrechts – der Körper des Menschen ist im Recht omnipräsent. Das zeigt sich insbesondere auch in den gegenwärtigen Gesetzgebungsprojekten im Bereich der Biomedizin.
Die Beschäftigung mit dem Körper des Menschen führt aber – so Christensen – immer zu einer zentralen Kernfrage: Worin besteht das Wesen des Menschen? Dazu gehört einerseits die Leib-Seele-Thematik, andererseits aber auch die für das Recht sehr wichtige Debatte: Wo fängt der Mensch an, wo endet er? Das war und ist keineswegs klar und wurde in der Geschichte sehr unterschiedlich beantwortet.
Die Antwort auf diese Frage hat wichtige rechtliche Konsequenzen, beispielsweise für die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt eine Abtreibung zulässig ist. Befremdend erscheint aus heutiger Perspektive etwa die von der Antike bis ins frühe Mittelalter geltende Auffassung, wonach ein Knabe 40 Tage, ein Mädchen aber erst 80 Tage nach der Zeugung ein Mensch zu sein beginne. An diesem Beispiel zeigt sich für Birgit Christensen nicht nur die unterschiedliche Wertung der Geschlechter in einer bestimmten Zeit, sondern auch, dass Anfang und Ende des Menschen immer willkürlich festgesetzt wurden. Sie findet: «Das lässt sich kaum ändern, doch sollte durch diese Einsicht mindestens das Bewusstsein dafür geweckt werden, dass nahezu mit jeder Regelung entsprechende Konsequenzen verbunden sein können.»