Navigation auf uzh.ch
Tania Singer: Manche buddhistische Mönche zum Beispiel üben sich jahrelang in bestimmten Meditationstechniken, die das Mitgefühl fördern. Für mich als Hirnforscherin ist es interessant, ob sich die Auswirkung dieser Meditationstechniken nicht nur subjektiv, sondern auch physiologisch – neuronal oder hormonell – nachweisen lässt.
Thematisch ist es dabei wichtig, zwischen Empathie und Mitgefühl zu unterscheiden. Empathie ist die Fähigkeit, sich in die Gefühle des anderen einzufühlen: Mein Leid ist auch dein Leid. Ein empatischer Mensch kann sich also sehr gut in den anderen einfühlen, es kann jedoch passieren, dass er die Distanz zum anderen verliert und das Leiden des anderen als eigenen Stress empfindet. Mitgefühl hingegen ist mit einem warmen positiven Gefühl und einer Sorge für den anderen verbunden und bringt eine starke Motivation, zu handeln, mit sich.
Buddhistische Mönche trainieren vor allem bewusst ihr Mitgefühl. Uns interessiert, wie man Empathie in Mitgefühl umwandeln kann.
Warum arbeiten Sie gerade mit Menschen, die buddhistische Meditationstechniken anwenden?
Weil buddhistische Techniken sehr genaue praktische Anweisungen geben, die wir als Forscher gut nachvollziehen können. Bei Techniken, wie «Metta» zum Beispiel, übt ein Mönch täglich daran, seine so genannten Herzensqualitäten zu entwickeln, in dem er anderen Menschen etwas Gutes wünscht und das wie bei einem Mantra immer wieder wiederholt.
Können menschliche Werte wie Altruismus, Mitgefühl, Ausgeglichenheit und Glück tatsächlich trainiert werden?
Bis jetzt gibt es dazu noch zu wenig empirische Forschung in den Neurowissenschaften. Daher versuchen wir, dies mit wissenschaftlichen Methoden zu messen. Im Moment sind wir dabei, Kurzzeitstudien durchzuführen, um die Auswirkungen von Meditationsübungen auf Verhalten und Gehirn zu erfassen. Dazu erlernen Probanden einen Tag lang bestimmte mentale Trainingstechniken und üben diese eine Woche lang. Dann erfassen wir anschliessend mittels einer Kernspintomographie Aufnahmen des Gehirns und wir dokumentieren anhand mehrerer Verhaltensaufgaben die Veränderungen. Diese Kurzzeitstudien bereiten eine Langzeitstudie vor, die ich demnächst angehen werde.
Gibt es denn ein Mitgefühls-Zentrum im Gehirn?
Es geht hier nicht darum, ein einzelnes Emotions- oder Mitgefühlsareal im Gehirn zu identifizieren; diese Gefühle lassen sich eher als Netzwerke im Gehirn abbilden, und die zu erwartenden Veränderungen sind auch komplex. Mein Ziel ist es langfristig, für Leute wie Sie und mich ein Training zu entwickeln, das Mitgefühl und Empathiefähigkeit fördern kann, und ich möchte herausfinden, wann unser Gehirn für das Erlernen solcher Fähigkeiten am plastischsten ist. So stellt sich die Frage, ob diese Fähigkeiten schon in jungen Jahren trainiert werden müssen, um tatsächlich Ergebnisse zu erzielen.
Mitgefühlstrainings könnten für die Schule hilfreich sein oder bei der Lösung von Konflikten. Segensreich wären auch klinische Anwendungen, zum Beispiel bei Psychopathologien wie dem Autismus.
Haben Sie selbst schon meditiert?
Ja, im Sinne eines Selbstversuchs. Meine Erfahrungen waren positiv, jedoch habe ich schnell gemerkt, dass man regelmässig und intensiv trainieren muss, um die Techniken zu beherrschen. Mir ist es des öfteren auch passiert, dass ich müde oder zu unaufmerksam war, um die Übungen richtig durchzuführen. Insgesamt hat es mir jedoch gut getan, denn wenn man jemandem etwas Gutes wünscht, geht es einem selbst auch besser.
Verbessert sich die Welt, wenn wir mitfühlender werden?
Ja, davon bin ich überzeugt. Diejenigen, die sich seit langem in diesen buddhistischen Meditationstechniken üben, habe ich als ausgeglichene und warmherzige Persönlichkeiten erlebt, die selten in Konflikte geraten. Sie sind wie strahlende Sonnen.