Navigation auf uzh.ch
Sie hocken auf der Erde, vor ihnen ist eine Drehscheibe tief in den Boden eingelassen. Unter den geschickten Händen der chinesischen Töpfer entstehen Gefässe, die später zu jadegrünem Seladon-Porzellan gebrannt werden.
Betrachten westliche Touristen die Töpfer, nehmen sie die Szene als exotisch und rückständig wahr. Zu Unrecht, wie Mareile Flitsch weiss. Unsere Wahrnehmung zu verändern, ist erklärtes Ziel der Technik-Ethnologin und Sinologin, die seit 2008 Professorin für Ethnologie an der Universität Zürich ist. So zeige sich dem geschulten Auge, dass die chinesischen Töpfer am Boden arbeiten, weil sie damit ihre Kraft in Armen und Beinen optimal einsetzen können. Zudem können auch zwei Töpfer an der Scheibe sitzen und zusammen arbeiten. Insofern ist diese Arbeitsorganisation weder rückständig noch unpraktisch, sondern exakt auf den Arbeitsprozess abgestimmt.
«Interessant ist die Art und Weise, wie Menschen verschiedener Kulturen sich seit frühester Zeit organisieren. Sie bedienen sich dazu eigner, flexibel anpassbarer Alltagstechniken, die vor dem Hintergrund der sozial-technischen Systeme ihrer Epoche zu verstehen sind», erklärt Mareile Flitsch.
Zürich will die Ethnologin in Zukunft zu einem Standort für die ethnologische Beschäftigung mit materieller Kultur und praktischem Wissen machen, oft mit Bezug zu China.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Tagung «The body at Work», die heute am Völkerkundemuseum der Universität Zürich beginnt. Dazu hat Flitsch Technik-Ethnologen, Alltags- und Konsumhistoriker, Handwerksforscher und Sinologen aus aller Welt eingeladen. Die Tagung ist das dritte Treffen des «Euro-Asian Network for the Study of Everyday Technologies» (EANSET).
Die Technik-Ethnologie will jedoch nicht nur handwerkliche Fertigkeiten erforschen, sondern sie will sie im Gedächtnis behalten. Die Geschichte des traditionellen Handwerks ist auch eine Verlustgeschichte. Im Zuge der Globalisierung geht das Wissen vieler tradierter Fertigkeiten verloren. Deshalb sind aktuelle und vergangene Handwerksformen Thema der Tagung. Dabei zeigen die Expertinnen und Experten ein Kaleidoskop der Technik-Ethnologie.
Zum Beispiel Dorothy Ko von der Columbia University: Sie wird auf der Tagung über den Körper des chinesischen Handwerkers sprechen. Ko ist bekannt geworden durch ihre Arbeiten zur tausendjährigen Geschichte des Fussbindens in China. Darin analysierte sie die Bedingungen, die diese Technik für den praktischen Alltag von Frauen hatte. Beim Füssebinden wurden durch extremes Einbinden und Knochenbrechen die Füsse stark missgestaltet.
Aus westlicher Sicht stellen wir uns eine Minderheit von Edeldamen mit verkrüppelten Füssen vor, die nicht laufen konnten und getragen werden mussten. Dieses Bild hat Ko relativiert: Das Binden der Füsse war sehr weit verbreitet und auch bei der ländlichen Bevölkerung üblich. Ein Schönheitsideal, das Frauen jedoch auch stark an die Textilarbeit band, weil sie nicht, oder schlecht laufen konnten.
Die Kieler Wissenschaftlerin Iris Hopf befasst sich mit der Bekleidung der so genannten «Blauen Ameisen». In China war während der Kulturrevolution (1966–1976) der Alltag von der maoistischen Ideologie durchdrungen. So entstand das Bild von den sogenannten blauen Ameisen – den chinesischen Arbeitern im uniformen Anzug. Als technisches Artefakt ist Kleidung Träger von Bedeutungszuschreibungen, durch ihre unmittelbare Körpernähe jedoch gleichzeitig Teil des Eigenleibes. Iris Hopf, von Haus aus Näherin, betrachtet die Kleidung der Kulturrevolution in ihrer Mittlerfunktion zwischen Individuum, Umwelt und Technik.
Mareile Flitsch möchte dem Handwerklichen in der Ethnologie Rechnung tragen. «Die Ethnologie wendet sich eher zögerlich den Technologien zu.» Ein Grund dafür liege in der Geschichte des Faches selbst, in der «fremde Kulturen» zunächst exotisiert wurden. Ein weiterer Grund sei die Tatsache, dass man technische Sachverhalte lange eher den technischen und naturwissenschaftlichen Wissenschaftsdisziplinen überliess. Das soll sich ändern.