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Jugendliche und Alkohol

«Manchmal tragen sie mich heim»

Die Sozialgeografin Sara Landolt hat das Trinkverhalten Jugendlicher in Zürich analysiert. Während unter jungen Männern hoher Alkoholkonsum als männlich gilt, haben junge Frauen eher Angst vor dem Kontrollverlust. Sie geben auch mal vor, mehr zu trinken, als sie wirklich tun.
Marita Fuchs
Trinken in der Gruppe: Jugendliche mischen sich ihre Drinks vermehrt selber.

Silvester, Geburtstage, Wochenenden: Kollektives, öffentliches Trinken gehört für viele Jugendliche zum Ausgehvergnügen. Laut einer Studie von Holger Schmid (vgl. Kasten) ist der wöchentliche Bierkonsum bei Jugendlichen in der Schweiz zwischen 1986 und 2008 stark angestiegen.

Die Steuer auf Alkopops hat den Konsum der fertigen Mixgetränke zwar gesenkt, dafür ist der Absatz von Spirituosen gestiegen. Dies deutet darauf hin, dass sich Jugendliche ihre Drinks jetzt selbst mischen.

Vermehrt trinkende junge Frauen

Nach wie vor existiert aber ein Unterschied im Alkoholkonsum von weiblichen und männlichen Teenagern. Laut ESPAD-Report 2007 («European School Survey Project On Alcohol And Other Drugs») trinken männliche Teenager in der Schweiz mehr und häufiger Alkohol als gleichaltrige Frauen. Anders in England: Junge Männer und Frauen trinken dort bereits seit 2003 die gleichen Mengen Alkohol.

«Es fällt auf, dass in den öffentlichen Diskussionen zu Jugend und Alkohol das Geschlecht selten thematisiert wird», stellt die Sozialgeografin Sara Landolt von der Universität Zürich fest. «Dies, obwohl sich der weibliche Alkoholkonsum auch in der Schweiz in den letzten Jahren stark verändert und der Anteil trinkender weiblicher Jugendlicher zugenommen hat.»

Aufklärung ohne Einfluss

Dass es beim Trinken immer wieder zu Exzessen kommt, beunruhigt Staat und Gesellschaft. Doch Aufklärungskampagnen, etwa in Schulen, scheinen dem nicht entgegenwirken zu können. Sie haben kaum Einfluss auf das Trinkverhalten, wie jüngst eine Studie in der Wissenschaftszeitschrift «Lancet» zeigte.

«Meiner Ansicht nach ist es wichtig, die Motive und Hintergründe des Trinkverhaltens zu untersuchen und zu verstehen, was gemeinsames Trinken für unterschiedliche Jugendliche bedeutet», so Landolt. Darauf solle sich die Prävention stützen.

Sara Landolt: «Das Trinkverhalten junger Frauen wird von den Jugendlichen anders beurteilt als dasjenige junger Männer.»

Leere Flaschen als Trophäen

Die Geografin hat für ihre Dissertation mit 15- bis 18jährigen Zürcherinnen und Zürchern insgesamt 14 Diskussionen in gleichgeschlechtlichen Gruppen durchgeführt.

«Die Analyse meiner Daten zeigt, dass das Trinkverhalten junger Frauen von den Jugendlichen selbst anders wahrgenommen und beurteilt wird als dasjenige junger Männer», sagt Landolt.

Wenn trinkende männliche Teenager über ihren Alkoholkonsum sprächen, würden gerne Trinkerlebnisse erzählt. Exzessives «Saufen» von jungen Männern wird von weiblichen wie männlichen Teenagern deutlich weniger in Frage gestellt als dasjenige von jungen Frauen. In den Erzählungen erscheinen die jungen Männer als Helden, beispielsweise als Gewinner von Trinkspielen. Die leer getrunkenen Flaschen werden gezählt, als handle es sich um Trophäen.

«Damit einher geht die Vorstellung von einer Unverletzlichkeit des männlichen Körpers. Weder die negative Wirkung des Alkoholkonsums, noch die Gefahren werden thematisiert, in die sich männliche Jugendliche in angetrunkenem Mut oder Übermut ergeben», sagt Landolt.

Dass starker Alkoholkonsum auch zur Schwächung des Körpers führen kann, wurde in den Gruppendiskussionen nur dann zum Thema, wenn es um den Nachhause-Weg ging. So erzählt Landolt, wie männliche Jugendliche darüber diskutierten, wer in der Gruppe wen nach Hause begleitet, da sie teilweise zu betrunken wären, um alleine zu gehen. «Manchmal tragen sie mich heim», erzählte ein Jugendlicher.

Frauen nennen Gründe

Anders bei den Mädchen. Drei Phänomene konnte Sara Landolt den Gesprächen entnehmen: Das Sich-Betrinken junger Frauen scheint nicht selbstverständlich zu sein, stets werden Gründe dafür angegeben. Wird über trinkende weibliche Jugendliche gesprochen, wird auch über Jungen geredet.

Drittens zeigt sich, dass Alkohol sowohl in reinen Jungengruppen wie auch in gemischtgeschlechtlichen Gruppen konsumiert wird. Weibliche Teenager hingegen trinken vorwiegend in gemischtgeschlechtlichen Gruppen, wobei auch das sexuelle Spiel zwischen den Jugendlichen eine Rolle spielt.

Von beiden Geschlechtern werden stark betrunkene junge Frauen schnell negativ bewertet. Wörter wie «Schlampe» oder «Nutte» tauchen auf, oder man spricht diesen Frauen ihre Weiblichkeit ab und nimmt sie als mitsaufende Kumpel wahr. «Weibliche Jugendliche machen aus ihrer Trunkenheit keine Heldengeschichten, es ist ihnen im nachhinein eher peinlich, darüber zu erzählen», sagt Landolt.

Kontrolle behalten

Einige weibliche Jugendliche geben sogar lediglich vor, zu trinken oder betrunken zu sein, so Landolt. Der vermeintliche Zustand der Betrunkenheit erlaubt es ihnen, die Kontrolle zu behalten und gleichzeitig an zwischengeschlechtlichen Spielen teilzunehmen.

Die Forschung aus unterschiedlichen europäischen Ländern zeigt, dass das Argumentationsmuster, unter Alkoholeinfluss nicht mehr die Kontrolle über das eigene Tun zu haben und Handlungen dadurch nicht verantworten zu müssen, unter Jugendlichen stark verbreitet ist.

Eine Untersuchung in Skandinavien hat gezeigt, dass junge Frauen dieses Muster verwenden, um zu erklären, weshalb sie sich mit Männern (sexuell) eingelassen haben, die sie nüchtern nicht akzeptabel fänden.

Mit Gefahren verbunden

Dennoch bringen junge Frauen den Kontrollverlust infolge Alkoholkonsums auch mit Gefahren in Verbindung – etwa der sexuellen Belästigung. Dies hat sich auch in den Gesprächen in Landolts Untersuchung in Zürich gezeigt.

«Trinken ist für junge Frauen eine Gratwanderung», bilanziert Landolt. Der „richtige“ Alkoholkonsum entscheide über die Zugehörigkeit zum zwischengeschlechtlichem Spiel. Gleichzeitig sähen sich trinkende junge Frauen durch Alkoholkonsum und Kontrollverlust Gefahren ausgesetzt.

Das Trinkverhalten Jugendlicher insgesamt sei eingebettet in traditionelle Rollenmuster. Dies müsse bei einer differenzierten Alkoholprävention berücksichtigt werden, ist Sara Landolt überzeugt.

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