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Wird in Zukunft das Internet zentrale Aufgaben der Musikindustrie ersetzen? Können internetbasierte Angebote neue Verdienstmöglichkeiten für Musiker mit sich bringen? Diesen Fragen stellt sich Angela Martucci, Assistentin am Soziologischen Institut der Universität Zürich, in ihrer Dissertation. Erste Ergebnisse zeigen: Das Internet bietet vor allem gute Chancen, sich eine treue, zahlungswillige Fangemeinde zu schaffen.
Seit Beginn der 90er Jahre ist es Cyber-Aktivisten gelungen, Musik, Filme oder Bücher im Internet zum Nulltarif anzubieten, indem vernetzte Nutzer ihre Festplatteninhalte austauschen. Der eine sucht, was ein anderer hat, und Programme bringen beide zusammen. Diese Peer-to-Peer-Netzwerke haben sich seit Jahren etabliert, technisch sind sie raffiniert, zeitlich immer online. Megabytes von Daten werden dabei in kleine Bausteine aufgeteilt, kopiert, von Rechner zu Rechner verschoben, und schon liegt das neueste Musikstück auf dem eigenen Computer.
Klagen der Musikindustrie
Der Download in Peer-to-Peer-Netzwerken ist in der Schweiz illegal. Sobald die Dateien weitergegeben werden oder einem Dritten (Peer) zur Verfügung gestellt werden, ist der Download strafbar.
Gross ist denn auch das Wehklagen der Medienkonzerne wie Warner, Dream Works oder Microsoft. Mehr als drei Millionen schwarzhörende Musikfreunde hat die deutsche Phonoindustrie in ihrem Jahreswirtschaftsbericht 2007 gezählt. 312 Millionen Songs wurden demnach ohne Bezahlung aus dem Internet gezogen. Schliesslich entgehe den Labels dadurch viel Geld, mit dem man Künstler hätte fördern können, behauptet die Musikindustrie. Stimmt das auch?
Kultur des Zugangs
Eingebettet sei die Musikpiraterie in einer so genannten «Kultur des Zugangs», meint die Soziologin Angela Martucci. Free Software und Open Source proklamieren schon seit längerem eine Freiheit der Daten, und laut Hacker-Ethik bieten die Tauschbörsen etwas, das die Welt gerechter, gleicher, kreativer und klüger mache. «Die Standardisierung der Formate tat ein Übriges», so Martucci. «Vor allem das MP3-Format – bei dessen Nutzung keine Lizenzgebühren anfallen – gewährleistete das schnelle Kopieren, was auch dazu geführt hat, dass noch nie so viel Musik gehört wurde wie heute», sagt Martucci.
Netzwerk der Musikliebhaber
Die Musikindustrie hinkt dieser Entwicklung hinterher. Denn auch die Musikproduktion ist technisch einfacher und billiger geworden: War es für Musiker früher sehr teuer und aufwendig, in einem Tonstudio Aufnahmen zu machen, können Musiker heute selber Stücke in guter Qualität ohne grosse finanzielle Belastung quasi zu Hause produzieren und im Internet veröffentlicht.
Dann übernehmen Organisationen wie die Website «jamendo» Aufgaben der traditionellen Musikindustrie: Sie veröffentlichen die Musikstücke, Interessierte können die Musik herunterladen und dabei neue Künstler für sich entdecken. Manche Musiker erlauben den Fans sogar, ihre Kompositionen zu verändern und diese wiederum hochzuladen. Hier entsteht eine Dynamik, die die Musikindustrie so gar nicht anbieten kann.
Gefällt die Musik, kann auf der Website «last.fm» nach ähnlichen Bands gesucht werden – ein für die Musiker interessantes Netzwerk entsteht, und es werden auf diese Weise Besucherinnen und Besucher von Konzerten akquiriert. «Und Konzerte sind für die Musiker finanziell lukrativ», sagt Martucci.
Musikpiraten: die grösste Kundengruppe der legalen Download-Plattformen
In zahlreichen Interviews mit Musikern – bekannten und weniger bekannten – konnte Martucci Bemerkenswertes hören. Viele fühlen sich von ihren Plattenfirmen an die Kandare genommen: Der Zwang, die immer gleiche Musik zu komponieren und der Druck zu verkaufen, sei belastend. Bei Nichterfolg werde der Vertrag gekündigt, und man sei ganz schnell weg vom Fenster, so ein Musiker.
Ganz anders sieht es aus, wenn die Musiker ihre Stücke auf einer Webseite veröffentlichen und sich eine Fangemeinde durch Klicks und Tipps schaffen. «Der enge Online-Kontakt zwischen Künstlern und Rezipienten kann auch finanziell lukrativ sein», hat Martucci herausgefunden. Denn die Online-Fans sind durchaus bereit, Musiker finanziell zu unterstützen. So sind die so genannten Musikpiraten die grösste Kundengruppe der legalen Download-Plattformen.
Forscher der BI Norwegian School of Management haben rund 2000 Nutzer illegaler Portale zu ihrem Musikkonsum befragt. Ihre Bereitschaft, für Musik zu bezahlen, sei zehnmal höher als die derjenigen, die nicht in P2P-Tauschbörsen aktiv sind. Die Autoren verliessen sich dabei nicht auf die Ehrlichkeit der Befragten, sondern baten sie, ihre Käufe auch zu belegen. Und dieser Absatz ist relevant: Mittlerweile erzielt die Branche 20 Prozent ihres Umsatzes im digitalen Markt – in Deutschland stieg 2008 die Anzahl der legalen Downloads um 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Demnach sorgen dieselben Personen, denen die Krise der Musikbranche aufgrund illegaler Downloads angelastet wird, für einen Anstieg der Absatzzahlen bei iTunes, Amazon oder Musicload.
Finanzielle Situation von Musikern in der Regel prekär
Man müsse das Bild von Musikern auch ins sozialpolitisch rechte Licht rücken, meint Martucci. «Nur sehr wenige Musiker verdienen mit Musik ihren Lebensunterhalt, viele haben einen Nebenjob.» In Deutschland zum Beispiel verdienen 90 Prozent der Musiker weniger als 15'000 Euro im Jahr. Der Verdienst an einer CD macht in der Schweiz etwa 2 bis 3 Franken pro CD aus. Damit wird man nur bei Grossumsatz reich.
Untergeordnete Rolle der Alben
Eine andere Erklärung für den Rückgang der Einnahmen liegt auf der Hand: Im Internetverkauf werden zumeist einzelne Lieder abgesetzt. Das Albumkonzept spielt hier nur eine marginale Rolle. Angenommen, ein Album enthält zehn Songs, so müssten also zehnmal mehr Einzeldownloads verkauft werden als im physischen Geschäft CDs, um die Bilanz auszugleichen. Vertreter der Musikindustrie hätten schon einmal die technische Entwicklung verpasst, resümiert Martucci. So habe sie zu spät erkannt, dass die Vinylschallplatte durch die CD ersetzt wurde und auch jetzt wieder sehe es ganz so aus, als würden die Chancen des Internets versäumt.