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Von Frankreich über Griechenland bis Russland – Studierende aus 15 Nationen nehmen derzeit am sechsten «Studienkolleg zu Berlin» in der deutschen Hauptstadt teil. Das Programm will ihnen Gelegenheit geben, «Europas Vielfalt im Kleinen zu erleben» und ihren eigenen Fragen zu Europa nachzugehen – jenseits aller Fächer- und Ländergrenzen. Am Studienkolleg nehmen jedes Jahr rund dreissig besonders begabte Studierende aller Fachrichtungen für elf Monate teil.
Michael Braunschweig ist seit September 2008 in Berlin. Er hat zuvor vier Semester Theologie und Philosophie an der Universität Zürich (UZH) studiert und war von einem Professor motiviert worden, sich für das Studienkolleg zu bewerben: «Speziell interessiert hat mich, mit Menschen aus Osteuropa zusammenzutreffen, denn diese jungen Demokratien sind mir noch wenig vertraut.»
Michael Braunschweig führt sein Studium der Theologie und Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin fort. Gleichzeitig nimmt er an den wöchentlichen Veranstaltungen und Seminaren des Studienkollegs teil, etwa zu Fragen der europäischen Identität. Herzstück des Studienkollegs ist aber die Projektarbeit in interdisziplinär zusammengesetzten Gruppen zu aktuellen Fragen der europäischen Einigung.
Michael Braunschweig geht der Frage nach, wie konfliktträchtig die Halbinsel Krim ist, die im Brennpunkt russischer wie auch ukrainischer Interessen liegt. Die Krim gehört seit 1954 zur Ukraine, hat aber mehrheitlich russischstämmige Bewohnerinnen und Bewohner.
Als Standort eines bedeutenden Marinehafens der russischen Schwarzmeerflotte entzünden sich an der Halbinsel Konflikte, weil die Ukraine sich seit ihrer «orangen Revolution» zum Missfallen Russlands der EU und der NATO annähert. Nach der Literaturrecherche und Gesprächen mit Experten in Deutschland wird die Studienkolleg-Arbeitsgruppe im März eine Woche vor Ort recherchieren.
Diese Projektreise liegt für Anna Peter bereits eine Weile zurück. Sie hatte zwei Jahre Rechtswissenschaft an der UZH studiert, als sie im September 2006 für ein Jahr nach Berlin zog. «Eine Superstadt, in der auch zwanzig Jahre nach dem Mauerfall noch Aufbruchstimmung herrscht», so Anna Peter. Sie fand es besonders interessant, im Rahmen des Studienkollegs aus erster Hand über die politischen Umbrüche im Osten Europas zu erfahren.
Um am Studienkolleg teilnehmen zu können, musste Anna Peter ein Assessment-Verfahren durchlaufen, wofür sich in ihrem Jahrgang knapp 200 Personen beworben hatten. «Gute Noten allein reichten nicht, um ausgesucht zu werden. Gefragt waren vor allem Sozialkompetenz, Weltoffenheit und Eigeninitiative», erinnert sie sich.
Ihre Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit dem Konflikt um die kleine Halbinsel Gibraltar, auf die sowohl England wie auch Spanien Besitzansprüche erheben. Dabei wurde den Studienkollegiaten schnell klar, dass der «letzte Territorialkonflikt innerhalb der Europäischen Union» juristisch nicht zu entscheiden ist, sondern die Situation alleine auf politischem Weg entspannt werden kann.
Die Studierenden gingen der Frage nach, inwiefern die Einbindung Englands und Spaniens in die europäische Union den Konflikt verändert hat. Sie kamen zum Fazit, dass die europäische Einigung die beiden Länder durchaus zu einer Annäherung motiviert hat – wenn auch nicht im erwarteten Ausmass.
Das Studienkolleg lohnt sich, sind sich Anna Peter und Michael Braunschweig einig. «Das Jahr in Berlin erweitert den Horizont und öffnet Perspektiven», beschreibt Michael Braunschweig schon nach wenigen Monaten seine Erfahrungen. Insbesondere die Interdisziplinarität begeistert ihn, und so überlegt er sich, für das spätere Masterstudium ein interdisziplinäres Programm zu wählen.
Auch bei Anna Peter könnte sich das Studienkolleg auf die berufliche Zukunft auswirken. Zurück in Zürich wird sie nach dem Lizentiat im Frühling das Anwaltspraktikum und die Anwaltsprüfung in Angriff nehmen. Anschliessend könnte sie sich ein Doktorat vorstellen – vielleicht in der «Superstadt Berlin».