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Die Sozialwissenschaften müssten sich, so Jarren, in einem Spannungsfeld zwischen Theorie und Empirie bewegen. Theorieangebote in den Sozialwissenschaften würden stetig zunehmen, und in noch grösserem Masse stehe ein stets wachsender Bestand an empirischen Befunden zur Verfügung.
Das Problem jedoch bestehe darin, von der Theorie zur Empirie zu kommen. Denn während die Theorien meist umfassende Erklärungsmodelle bereithielten, könnten empirisch stets nur kleine Einzelbereiche untersucht werden, die kaum mit den umfassenden Theorien zusammen zu bringen seien. Dies könne dazu führen, dass die empirischen Befunde überinterpretiert werden.
Wie forschendes Lernen in diesem Spannungsfeld möglich ist, erläuterte Jarren am Beispiel von Projektseminaren, die er am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung durchführt. In diesen Seminaren befasst sich eine Gruppe von Studierenden mit einer vorgegebenen Fragestellung, im kommenden Semester beispielsweise mit der Internet-Kommunikation in Blogs. Die Seminare sind darauf ausgelegt, dass die Studierenden die Fragestellung aus möglichst verschiedenen Perspektiven betrachten und ihre eigene Arbeit dabei reflektieren.
So werden zum Beispiel zu Beginn die Verwertungsmöglichkeiten der Resultate zur Diskussion gestellt und damit nicht eine Input- sondern eine Output-orientierte Perspektive eingenommen. Die Studierenden müssen sich überlegen, wozu ihre Forschung dient. Soll eine wissenschaftliche Verwertung, beispielsweise eine Masterarbeit oder eine Publikation, angestrebt werden oder sollen die Ergebnisse zu einer praktischen Verwertung, zum Beispiel zu einem Auftrag führen?
Die Ergebnisse der Arbeiten werden nicht nur innerhalb der Gruppe, sondern auch mit externen Gästen diskutiert. Die Gäste werden dabei zum Teil von den Studierenden, zum Teil von Jarren selbst bestimmt. Die Präsentation vor Gästen zwinge die Studierenden dazu, sich zwischen einer wissenschaftlichen oder einer auf die Praxis ausgerichteten Präsentation zu entscheiden. Stellen sie sich als Wissenschaftler dar oder als potenzielle Auftragnehmer für eine Anfrage aus der Praxis?
Mit solchen Seminaren lasse sich die Realität in der Universität simulieren, erklärte Jarren. Zwar sei es auch möglich, ein Projektseminar mit einem konkreten empirischen Projekt durchzuführen. Doch sei der Zugang zu solchen Projekten schwierig, da es eine zu grosse Nachfrage, eine eigentliche «Überforschung» in den Sozialwissenschaften gebe. Denn nicht nur die Universitäten sondern auch die Fachhochschulen seien «im Feld».
Auch wenn das forschende Lehren und Lernen ein Kern des universitären Selbstverständnisses ist, so muss es für Jarren, der in seiner Funktion als Prorektor Geistes- und Sozialwissenschaften auch für den Bereich Lehre zuständig ist, stufengerecht angeboten werden. Jarren sieht deshalb forschungsorientierte Lehrangebote eher auf der Master-, als auf de Bachelor-Stufe. Doch als Forschungsuniversität sollte es für Zürich ein Anliegen sein, möglichste viele Bachelor-Studierende in die Master-Stufe mitzunehmen und sie dort mit der Faszination des Forschens bekannt zu machen.