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So hatte sich Percy Barnevik seinen Abgang wahrscheinlich nicht vorgestellt: Der ehemalige CEO und Verwaltungsratspräsident des schwedisch-schweizerischen ABB-Konzerns machte im März 2002 weltweit als Abzocker Schlagzeilen. «Percy Raffzahn», wie ihn die Presse flugs taufte, hatte sich eine Abgangsentschädigung von 148 Millionen Franken organisiert. Ebenfalls fürstlich verabschiedet wurde ABB-CEO Goeran Lindahl, der 85 Millionen Franken einstrich. Die beiden hinterliessen ein Unternehmen, das um sein Überleben kämpfte, und nahmen gleich noch die Portokasse mit. Die schamlose Selbstbereicherung von Barnevik und Lindahl war aus schweizerischer Sicht der Höhepunkt in einer Reihe von Unternehmensskandalen, die zu Beginn dieses Jahrzehnts weltweit für Aufsehen sorgten. Die Frage, die sich alle stellten: Wie ist so etwas möglich? Die Antwort ist relativ einfach: Ein Unternehmen droht zum Selbstbedienungsladen zu werden, wenn der Gier der leitenden Angestellten keine Grenzen gesetzt werden, das heisst, wenn es innerhalb des Unternehmens keine funktionierenden Kontrollmechanismen gibt.
Diese Kontrollmechanismen werden unter dem Label Corporate Governance (CG) subsumiert. Die CG ist ein Set von Regeln, das zum Teil gesetzlich vorgegeben ist – etwa im Aktienrecht –, das sich Firmen aber auch selber geben können. Das Ziel ist eine möglichst gute Unternehmensführung und -kontrolle. Wie die Unternehmensskandale vor Augen führten, haperte es in dieser Hinsicht bei einigen Firmen jedoch beträchtlich. «Investoren, Wirtschaftsrechtler und Politiker haben deshalb Druck gemacht, die Kontrollmechanismen innerhalb der Unternehmen zu verbessern», erinnert sich der Jurist Karl Hofstetter. Hofstetter ist Titularprofessor für Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich und exekutiver Verwaltungsrat bei der Firma Schindler, die weltweit 45000 Personen beschäftigt. Er kennt das Problem deshalb aus der wissenschaftlichen und der unternehmerischen Perspektive. Für Hofstetter und seine Kollegen war klar, dass etwas unternommen werden musste, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen.
Das Resultat dieser Reflexionen war der «Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance», den Hofstetter als Autor des dazugehörigen Grundlagenberichts 2002 mitverfasste. Der Swiss Code umfasst insgesamt 30 Regeln für die gute Unternehmensführung, 20 davon beziehen sich auf die Aufgaben des Verwaltungsrates. Der Swiss Code formuliert nur Empfehlungen, diese wurden jedoch von den wichtigsten Schweizer Wirtschaftsverbänden wie der economiesuisse übernommen. Seit 2002 habe sich deshalb Einiges getan, bilanziert Hofstetter: «Die Unternehmen haben im Einklang mit einer internationalen CG-Welle ihre Corporate Governance umgekrempelt.»
Die CG verfolgt zwei Kernziele: die Stärkung der checks and balances innerhalb der Unternehmen und die Verbesserung der Transparenz. Das ist im Interesse der Aktionäre, die als Eigentümer der Unternehmen den Schaden tragen müssen, wenn in der Führungsetage grobe Fehler gemacht werden oder die Gier grassiert. Den Interessen der Aktionäre Nachachtung verschaffen muss in erster Linie der Verwaltungsrat. «Die Verwaltungsräte waren deshalb ebenfalls daran interessiert, mit dem Swiss Code Regeln und Instrumente in die Hand zu bekommen, um die Konzernleitungen besser kontrollieren zu können», resümiert Hofstetter.
Alles bestens, alles im grünen Bereich, könnte man deshalb denken. Die economiesuisse attestiert den Schweizer Unternehmen denn auch, die Corporate Governance hierzulande sei im «internationalen Vergleich auf einem hohen Stand». Doch wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat, besteht weiterer Verbesserungsbedarf. Denn trotz des Swiss Code und trotz schärferer CG-Anforderungen der Schweizer Börse wird aus der Perspektive der Aktionäre und Normalverdiener bei einigen grossen Schweizer Unternehmen nach wie vor kräftig abgesahnt, ohne dass dafür immer eine adäquate Gegenleistung ersichtlich wäre. Vor diesem Hintergrund hat der Eigentümer der Kosmetikfirma Trybol Thomas Minder im Februar dieses Jahres die so genannte «Abzocker-Initiative» eingereicht. Sie verlangt, dass die Aktionärsrechte bei börsenkotierten Unternehmen gestärkt werden. So sollen etwa die Aktionäre an der jährlichen Generalversammlung über die Gesamtvergütung von Verwaltungsrat, Geschäftsleitung und Beirat bindend abstimmen können. Abgangsentschädigungen, Vorauszahlungen und Prämien sollen strafrechtlich verboten werden.
Hofstetter hat teilweise Verständnis für den Unmut: «Ökonomisch gerechtfertigte Saläre sind noch keine gesellschaftlich nachvollziehbaren Saläre», gibt er zu bedenken, «die Firmen müssen sich im Klaren sein, dass sie nicht über alle gesellschaftlichen und sozialen Gepflogenheiten hinweg Salärpolitik betreiben können.» Die Abzocker-Initiative zeigt für Hof stetter jedoch auch «die Gefahr, dass der Gesetzgeber überreagiert.» Will heissen, dass er Regeln aufstellt, die unpraktisch und allenfalls sogar kontraproduktiv sind. Deshalb setzt der Rechtsprofessor lieber zuerst auf die Selbstregulierung der Wirtschaft via Empfehlungen wie den Swiss Code: «Es braucht den Gesetzgeber, aber seine Vorschriften müssen grundsätzlicher Natur und nicht zu detailliert sein.»
Für Hofstetter ist jedoch unbestritten, dass weiterer Handlungsbedarf besteht. Er hat deshalb vor gut einem Jahr einen Sonderbericht zum Swiss Code verfasst, in dem er sich besonders mit der Frage der Entschädigung von Verwaltungsrat und Management beschäftigt. Hofstetters Erörterungen drehen sich um vier Kardinalfragen: Erstens – wer soll die Entschädigungen von Verwaltungsrat und Management aushandeln? Zweitens – wie sollen die Entschädigungen bemessen sein? Drittens – wie sollen die Entschädigungen nachvollziehbar offen gelegt werden? Und schliesslich viertens – wie wirken die offen gelegten Saläre nach aussen, das heisst in Politik und Gesellschaft?
Aufgrund seiner Überlegungen rund um die vier Kardinalfragen hat Hofstetter zusammen mit einer Expertengruppe zehn Empfehlungen ausgearbeitet. Diese ergänzen seit dem Herbst 2007 den Swiss Code. Die Regeln sprechen die aktuellen Probleme direkt an und machen konkrete Lösungsvorschläge, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassen. So sollte ein vom Verwaltungsrat bestimmter Entschädigungsausschuss, dem nur unabhängige Mitglieder angehören, die Saläre der Chefetage festlegen. Das Entschädigungssystem selbst soll insbesondere auch auf mittel- und langfristigen Erfolg abzielendes Verhalten belohnen und so die zum Teil falsch gesetzten Anreize korrigieren, die den kurzfristigen Erfolg um jeden Preis belohnten.
Ganz grundsätzlich soll es keine «goldenen Fallschirme» und Abgangsentschädigungen wie seinerzeit für Barnevik/Lindahl mehr geben. Und die Generalversammlung wird in die Debatte über das Entschädigungssystem einbezogen, etwa indem ein detaillierter Entschädigungsbericht erstellt und erläutert wird oder indem eine Konsultativabstimmung über den Bericht durchgeführt wird. Einige Unternehmen haben diese Empfehlungen in diesem Jahr bereits umgesetzt.
Die neuen Regeln zielen darauf ab, den Eigeninteressen des Managements und auch des Verwaltungsrates in Entschädigungsfragen ein echtes Gegengewicht zu geben und die Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten der Aktionäre zu verbessern. Die Stärkung der Aktionärsrechte ist eine internationale Entwicklung, die Hofstetter aus erster Hand kennt: 2005 war er als Gastprofessor an der Harvard Law School. «Die Corporate Governance wird in der amerikanischen Rechtswissenschaft besonders kompetent und intensiv diskutiert», erzählt Hofstetter, «und das immer mit dem Blick auf aktuelle Probleme und deren Lösung.» Eine Grundhaltung, die auch Hofstetters Arbeit prägt und sich im Swiss Code und den dazugehörigen Grundlagenberichten spiegelt.