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Es gab Zeiten, in denen ein Mittagessen im Kanton Zürich nicht einfach ein «Zmittag» war wie heute, sondern auch ein «Zimbis» oder «Zimbig ». Das war vor gut 50 Jahren, in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Damals hiess ein Papiersack im Kanton Thurgau nicht etwa «Papiersack», sondern ausschliesslich «Chucher ».
Tempi passati: Nicht nur die Zeiten ändern sich, sondern auch ein Teil der Worte, mit denen wir unsere Welt beschreiben. Heute ist ein Papiersack auch im Kanton Thurgau einfach ein «Papiersack» und nichts anderes. «In der heutigen Welt der Plastiksäcke spielt der Papiersack vielleicht einfach nicht mehr eine solche Rolle wie früher», mutmasst die Sprachwissenschaftlerin Elvira Glaser, «deshalb wird wohl auch sprachlich weniger differenziert.»
Die Frage, wie sich der Wortschatz in der Mundart im Laufe der Zeit verändert, interessiert die Dialektforscherin und ihre Mitarbeiter auch in einer Umfrage, die momentan auf der Website des Deutschen Seminars aufgeschaltet ist: «Wie nennen Sie das Anfangstück des Brotes?», wird da etwa gefragt. Im Angebot möglicher Antworten zu finden sind Ausdrücke wie «Aaschnitt», «Aahau», «Chappe», «Fux» und «Mürggel».
Oder die Forscherinnen und Forscher wollen wissen, wie die Kartoffel in der Mundart heisst. Vielleicht «Häbel»? Oder doch eher «Gumel», «Ärdöpfel» oder «Hördöpfel»? Insgesamt 18 Begriffe – darunter eben auch der Papiersack – erfragen die Sprachwissenschaftler in ihrem Wortschatztest.
Die Auswahl ist nicht zufällig. Ausgewählt wurden vor allem Worte, deren Gebrauch sich in den Dialekten vermutlich verändert hat oder die wahrscheinlich aus der Mode gekommen sind. Hintergrund der Online-Umfrage ist eine neue Handbuchausgabe des «Sprachatlas der Deutschen Schweiz» (SDS), die Elvira Glaser zusammen mit ihrer Freiburger Kollegin Helen Christen plant.
Der SDS wurde vom Zürcher Sprachwissenschaftler Rudolf Hotzenköcherle mitbegründet und ist eine Art raum-zeitliches Gedächtnis der Schweizer Mundarten: In acht Bänden, die zwischen 1962 und 1997 erschienen sind, und auf rund 1500 Karten zur Laut- und Wortgeografie ist die Deutschschweizer Sprachlandschaft vermessen und dokumentiert worden.
Für Dialektforscher sind die braunen, in Leinen gebundenen Bücher im tischfüllenden Überformat eine Fundgrube und die mit Symbolen übersäten Sprachkarten in ihrer Detailliertheit ein Traum – für Laien sind sie aber wohl eher ein Alptraum.
Glaser will deshalb in zwei Jahren eine auf 150 übersichtlicher gestaltete Karten entschlackte Fassung des Sprachatlas herausgeben, den auch Laien problemlos verwenden können. Da die Daten des «Sprachatlas der Deutschen Schweiz» vorwiegend Mitte des 20. Jahrhunderts erhoben wurden, sollen einzelne Sprachkarten zudem mit Texten ergänzt werden, die die Entwicklung einzelner Dialektworte bis in die heutige Zeit verfolgen. Deshalb auch die aktuelle Umfrage.
Doch wie verändern sich die Schweizer Dialekte überhaupt? Intuitiv würde man annehmen, dass sie – aufgrund der steigenden Mobilität und der modernen Kommunikationstechnologie – allmählich verarmen und sich zunehmend ähnlicher werden. Ist das tatsächlich so? «Ja und Nein», sagt Elvira Glaser. Tatsächlich unterschieden sich Dialekte früher sogar von Dorf zu Dorf. Heute ist das immer weniger der Fall.
So zeigen etwa Untersuchungen von Helen Christen, dass sich punkto Aussprache ländliche Gebiete zunehmend den Gepflogenheiten regionaler Zentren anpassen – dialektale Unterschiede etwa zwischen der Stadt Zürich und dem Zürcher Oberland, heisst das, lösen sich immer mehr auf.
Trotz dieses Trends zur Nivellierung ist der Reichtum an sprachlichen Formen und Eigenheiten aber so gross, dass viele Unterschiede zwischen den Mundarten bestehen bleiben. Diese enorme Vielfalt ist es auch, die Dialektologen begeistert und immer wieder zu neuen Studien veranlasst.
Die Vielfalt feiner sprachlicher Unterschiede zeigt sich den Zürcher Sprachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern auch bei ihrer gross angelegten Untersuchung zum Syntaktischen Atlas der deutschen Schweiz (SADS) – einer Pionierarbeit in der hiesigen Dialektforschung.