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Was der Toxikologe Felix Althaus, Präsident der Leitungsgruppe des Nationalen Forschungsprogramms 50 «Hormonaktive Stoffe», erzählt, tönt beunruhigend: «Wir haben eine ganz neue Form von Toxizität gefunden, die wir zu Beginn des Programms so nicht vermutet hätten.» Problematisch an hormonaktiven Stoffen ist hauptsächlich, dass ihre Wirkung ungleich viel schwerer nachzuweisen ist als bei bekannten Giften.
Rund 500 Chemikalien sind derzeit als hormonaktive Stoffe bekannt, so etwa bestimmte Weichmacher in Kunststoffen, UV-Filter in Sonnenschutz-Crèmes, Flammschutzmittel, Pestizide oder auch natürlich vorkommende Stoffe. Diese Chemikalien können an den Hormon-Rezeptoren andocken und dadurch die Funktion von Hormonen übernehmen oder den Hormonhaushalt im Körper stören. Forscher vermuten, dass sie beispielsweise mit der Verschlechterung der Spermienqualität bei jungen Männern oder mit Veränderungen in den Geschlechtsorganen bei Fischen zu tun haben.
«Die hormonaktiven Stoffe wirken bereits bei Konzentrationen, die im Vergleich zu anderen Giften um das x-Fache kleiner sind», erklärt Althaus. «Ausserdem entfalten Sie ihre gefährlichste Wirkung in einer ganz kurzen Periode – zum Teil wenige Tage – während der Entwicklung.» Althaus spricht daher von «Tarnkappen-Chemikalien», da sie mit herkömmlichen Methoden zur Feststellung der Toxizität nicht erfassbar sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die Stoffe einzeln oft harmlos sind. Ist ein Organismus aber mehreren dieser Chemikalien gleichzeitig ausgesetzt – wie es in Gewässern oft der Fall ist – entfaltet die Mischung plötzlich Wirkung.
Über die Verbreitung der hormonaktiven Stoffe war bisher wenig bekannt. Das NFP 50 liefert nun dazu erste Resultate: Margaret Schlumpf und Walter Lichtensteiger von der Universität Zürich fanden heraus, dass in der Muttermilch zum Teil sehr hohe Konzentrationen von UV-Filtern zu finden sind. Diese gelangen mit grosser Wahrscheinlichkeit über die Haut in den Körper. Die Konzentrationen liegen dabei zum Teil nur wenig unter einem Niveau, bei dem in Versuchen an Ratten die Stoffe die Entwicklung der Geschlechtsorgane oder des Gehirn stören konnten.
Hohe Konzentrationen hormonaktiver Stoffe kommen auch im Hausstaub vor, wie Forschende der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) herausfanden. Sie stammen aus bromierten Flammschutzmitteln, die heute in vielen Kunststoffen, Textilien oder Elektrogeräten verwendet werden. Die Belastung der Flüsse mit hormonaktiven Stoffen ist demgegenüber eher tief.
Sollen diese Stoffe nun verboten oder eingeschränkt werden? «Das ist ein Entscheid, den die Behörden fällen müssen», erklärt Althaus. «Es gibt auf jeden Fall ein Gefahrenpotenzial.» Doch um die Wirkungsweise und die Gefährdung besser verstehen zu können, braucht es weitere Forschung, so eine der wichtigsten Erkenntnisse von Althaus aus dem NFP. «Auf der Grundlage der Ergebnisse aus dem NFP 50 können wir nun eine Strategie für die weitere Forschung erarbeiten.»
Konkrete Massnahmen können und sollen, so Althaus, jedoch schon jetzt umgesetzt werden. Althaus hat deshalb bereits sehr früh Vertreter der Industrie und der Behörden über so genannte Konsensplattformen in das Forschungsprogramm eingebunden. Dazu musste er am Anfang gegenseitige Skepsis überwinden, doch nun läuft der Dialog und wird unter der Führung des Bundesamts für Umwelt auch nach Abschluss des Forschungsprogramms regelmässig weitergeführt. Als ein konkretes Resultat einer der Plattformen hat die Industrie von sich aus einen UV-Filter bereits zurückgezogen, weitere Filter werden laufend untersucht.
Medial hohe Wellen schlug die im Rahmen des NFP durchgeführte Untersuchung über die Spermienqualität der jungen Schweizer Männer. Noch ist die Untersuchung nicht abgeschlossen, doch im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichte Zwischenergebnisse zeigen, dass das Sperma der Schweizer Männer unterdurchschnittlich ist. Weshalb dies so ist, liegt zwar noch im Dunkeln, doch ein Zusammenhang mit Umwelteinflüssen und hormonaktiven Stoffen ist wahrscheinlich, meint Althaus.
Führen hormonaktive Stoffe also längerfristig gar zu einem Aussterben der Schweizer? Für einen solchen Schluss ist es nach dem derzeitigen Stand der Forschung eindeutig zu früh. «Aber wer Klarheit will», sagt Althaus mit Blick auf die Politik, «der muss die toxikologische Forschung unterstützen.»