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In Deutschland, England und den USA wird rege zum Kinderfernsehen geforscht. In der Schweiz ist das Thema neu. «Kinder sind in der Schweiz auch in den Medien unterrepräsentiert», erklärt Sara Signer, «und sie haben keine Lobby wie in anderen Ländern.»
In England zum Beispiel sind die Qualitätsanforderungen an das Kinderprogramm streng. «Wenn die Auflagen nicht erfüllt sind, gibt es für den staatlichen Sender BBC auch kein Geld für das Kinderprogramm», so Signer. Das Schweizer Fernsehen (SF) hingegen braucht nicht nachzuweisen, wie es das Geld fürs Kinderfernsehen einsetzt.
Weil in der Schweiz die Anforderungen ans Kinderfernsehen nicht klar formuliert sind, ist es auch nicht möglich, die Qualität der Kinderprogramme an den Anforderungen zu messen. Die Doktorandin Signer muss deshalb für ihre Dissertation erst die Qualität von Kindersendungen so aufarbeiten und definieren, dass sie wissenschaftlich geprüft werden kann.
Der Blick nach Deutschland ist dabei nützlich. Die Diskussionen dort behandeln Fragen wie: Ist es wichtig, dass Kinderprogramme werbefrei sind? Muss es verschiedene Genres geben oder reichen unterhaltsame Comics? Was jedoch allerorten fehlt, ist die Perspektive der Kinder. Welche Sendungen finden sie «gut», welche «schlecht» und weshalb? Diese Lücke hat Signer mit Hilfe einer Lizentiandin durch Fragebögen und Interviews mit 5- bis 12-Jährigen schliessen können. Was sich bereits jetzt abzeichnet: dass die Vorstellungen von Kindern und Eltern, was eine ideale Kindersendung ist, ganz anders aussehen als die Kindersendungen, die das SF ausstrahlt.
Dass es nötig ist, die Kinder direkt zu fragen, welche der rund dreihundert existierenden Kindersendungen sie gut finden, zeigt das Beispiel «SpongeBob». Auf Erwachsene wirken die Abenteuer des Unterwasserschwamms gar nicht witzig, aber für Kinder bis elf, zwölf Jahre ist er die absolute Nummer eins. Die Kinder können sich mit SpongeBob identifizieren und finden ihn lustig, weil er so viel Unfug treibt. Sie haben «SpongeBob» in der Befragung von Signer mit Abstand zur beliebtesten Kindersendung gekürt. Weit abgeschlagen folgen «Kim Possible», «Grosse Pause», «Typisch Andy»
Sara Signer macht für ihre Dissertation auch eine Programmanalyse der letzten achtundfünfzig Jahre. «Das gibt es bisher noch nicht» sagt Signer. Die Programmanalyse wird zeigen, wie sich das Schweizer Kinderfernsehen entwickelt hat, wann wie häufig Kindersendungen ausgestrahlt wurden, wie lange sie dauerten und welche Sendeplätze sie erhielten. «Ganz am Anfang gab es nur gerade drei, vier Kindersendungen pro Woche», weiss Signer, «mittlerweile sind es zirka 140.»
Ein paar Punkte hat die Analyse bereits an den Tag gebracht. Zum Beispiel dass früher noch oft Puppenfiguren eingesetzt wurden. Die sind gänzlich aus der Mode gekommen. Dafür hat das Gesamtvolumen enorm zugenommen. Doch sind die einzelnen Kindersendungen heute nur noch halb so lang wie früher. Das Einschaltverhalten der Kinder ist sich gleich geblieben: Zappen ist überhaupt nicht beliebt; Kinder wissen genau, wann ihre Lieblingssendungen ausgestrahlt werden, und sie richten ihren Tagesablauf danach. «Kinder wissen gerne, was sie erwartet, und sie schauen gerne Sendungen, in denen sie die Figuren bereits kennen», so Signer.
Diese Treue der Kinder zu den Sendungen wird vom SF nicht belohnt. Da das Kinderprogramm auf SF zwei ausgestrahlt wird und sich den Sendeplatz mit Sportbeiträgen teilen muss, läuft zu den wichtigsten Zeiten, die für Kinder sinnvoll wären (nach der Schule zwischen fünf und sechs Uhr), nichts Kindergerechtes. Das hat zur Folge, dass fernsehschauende Schüler auf den privaten Kanal SuperRTL umschalten. Die Verantwortliche für Kindersendungen, die Unterhaltungschefin Gabriela Amgarten, ist sich dessen bewusst: «Wissen Sie, wir behandeln die Kinder sehr schlecht am Schweizer Fernsehen», antwortete sie auf die Frage, weshalb SF nicht stärker ins Kinderfernsehen investiere.
Signer vermutet, dass Kindersendungen eine zu geringe Einschaltquote erzielen. Sie gibt allerdings zu bedenken, dass die Frage, was das Fernsehen den Kindern bietet, letzten Endes eine programmpolitische Entscheidung sei. Schliesslich gebe es in der Schweiz mehr Kinder als Tessiner, und die Tessiner hätten ja auch ihr eigenes Programm. Signer plädiert sehr dafür, dass das Schweizer Fernsehen mehr ins Kinderprogramm investiert, «schliesslich werden den Kindern am Fernsehen ja immer auch Kulturwerte vermittelt – es macht ja keinen Sinn, dass Kinder nur fremde Werte kennen lernen, zum Beispiel durch japanische Mangas oder ähnliches.»
Was sollte das Schweizer Fernsehen Signers Ansicht nach anbieten? «Was umsetzbar und bei Kinder auch recht beliebt ist, sind Kindernachrichten», findet Signer. ORF und ZDF, KiKa und ARD bieten solche bereits an. Ein schöner Nebeneffekt davon: Auch Erwachsene schauen gerne zu, weil die Sachverhalte einfach und kurz erklärt werden.
Signers Doktorarbeit umfasst mehrere Aspekte von Kinderfernsehen und wäre für eine Person allein zu umfangreich. Dank dem Forschungskredit 2007 der Universität Zürich konnte Signer zwei Studentinnen und eine Lizentiandin anstellen, die ihr helfen. «Als ich mein Projekt vorstellte, warfen alle ein, das sei zu gross», erzählt die Doktorandin. «Dank dem Forschungskredit kann ich das Projekt so breit angehen, wie ich es mir wünschte.»