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Den düsteren Schlagzeilen dieses Jahres zum Trotz: Die Jugendlichen sind heute nicht gewalttätiger als vor acht Jahren. Die Zahl der jugendlichen Opfer von ernsthaften Formen von Gewalt ist in etwa gleich hoch wie 1999. Jedoch ist das geschätzte Durchschnittsalter von Sexualtätern deutlich gesunken. Dies zeigt eine so genannte Dunkelfelderhebung zur Jugendgewalt im Kanton Zürich, die Denis Ribeaud vom Pädagogischen Institut der Uiversität Zürich und der Soziologe Manuel Eisner am Freitag an der Universität Zürich vorstellten.
Eisner und Ribeaud hatten in den Jahren 1999 und 2007 im Auftrag der Bildungsdirektion jeweils über 2‘500 Neuntklässler im Kanton Zürich befragt. Mit der direkten und anonymen Befragung sollte die seit 1990 massive Zunahme der Gewaltdelikte Jugendlicher in der Kriminalstatistik mit den Aussagen der Befragten verglichen werden.
Denn Kriminalstatistiken geben nicht notwendigerweise die tatsächliche Kriminalität wieder. Mögliche Ursachen für die Zunahme der Gewaltrate in der Kriminalstatistik können neben der realen Zunahme nämlich eine höhere Anzeigenrate sein, eine höhere Registrierung durch die Polizei oder eine höhere Aufklärungsquote. «Die erhöhte Anzeigerate ist auf den Einfluss Erwachsener im Umfeld der Jugendlichen zurückzuführen», erläuterte Ribeaud, allerdings seien keine Hinweise auf eine zunehmende Schwere der Delikte als Ursache für vermehrte Anzeigen auszumachen.
Anhand der Auswertungen konnten Ribeaud und Eisner nachweisen, das «typische» Jugenddelikte, wie Schwarzfahren oder Diebstahl signifikant zurückgegangen sind. Auch der Suchtmittelkonsum ist rückläufig, allerdings ist zum Beispiel beim Alkoholkonsum nur der Genuss von Spirituosen zurückgegangen, während der regelmässige Alkoholkonsum zugenommen hat. Der Kontakt mit harten Drogen ist im Jahr 2007 im Vergleich zu 1999 um Hälfte gesunken.
Sexualdelikte wurden nur aus der Opferperspektive erfragt. Insgesamt sind nicht mehr Opfer als vor acht Jahren auszumachen, allerdings finden sich unter den Sexualtätern immer häufiger Minderjährige: innerhalb von acht Jahren stieg die Zahl von 1,8% auf 2,4%. Aufgrund dieser Veränderung werden die Delikte in anderen Kontexten begangen: seltener zu Hause und häufiger in der Schule, in anderen Wohnungen und auch mit zwei oder mehreren Tätern.
Die Studie belegt, dass unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein deutlich höherer Anteil an Gewalttätern auszumachen ist. Mögliche Ursachen liegen laut den Autoren in benachteiligten und bildungsfernen Milieus, in welchen auch das Gewaltverhalten nachweislich stärker verbreitet ist. Ebenso können kulturelle Einstellungen – wie etwa die Assoziation von echter Männlichkeit und Gewalt eine Rolle spielen.
In den Polizeistatistiken ist dieser Unterschied zwischen Schweizer und ausländischen Jugendlichen gemäss Ribeaud aber überzeichnet: «Gewalttäter mit Migrationshintergrund werden heute doppelt so häufig angezeigt, wie Schweizer Täter.» Eine mögliche Erklärung lieferte Manuel Eisner: «Im Konfliktfall tauschen Schweizer Eltern sich aus und klären bestimmte Vorfälle untereinander.» Im Umgang mit einer ausländischen Familie fehle jedoch die gemeinsame Sprache und Konfliktkultur und es komme eher zu einer Anzeige bei der Polizei.
Die Studie sei jedoch kein Anlass zur Entwarnung meinte Eisner. Jugendgewalt sei ein Problem und müsse auf staatlicher und sozialpolitischer Seite angegangen werden. Vor allem sollten Präventionsmassnahmen schon früh – am besten im Kindergartenalter – einsetzen. Aus der Studie gehen nämlich auch bedenkliche Entwicklungen hervor, so nehme die Sozialkompetenz der Jugendlichen ab. «Die Bereitschaft und das Vermögen zur Empathie gehen zurück», führte Eisner aus. Ebenfalls bedenklich sei der zunehmende Medienkonsum der Jugendlichen.
Zahlen sprechen für sich: 42 Prozent der Befragten hatten einen eigenen Fernseher im Schlafzimmer, 30 Prozent eine Playstation und 68 Prozent einen Computer. Damit einher geht eine Veränderung des Freizeitverhaltens. Jugendliche verbringen deutlich mehr Zeit zu Hause, allerdings nicht mit der Familie, sondern allein vor der Spielkonsole, dem Computerspiel oder dem Fernseher. Gemeinsame Aktivitäten mit Freunden leiden unter diesem Verhalten und auch die emotionale Bindung an die Eltern nehme ab.
Der Medienkonsum sei ein ernst zu nehmendes Thema meinte Eisner. Viele Jugendliche konsumierten Sendungen oder Spiele mit problematischem Inhalt. Hier seien Eltern, Schule und der Staat in die Pflicht genommen.