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Darf ein Topmanager sehr viel mehr verdienen als seine Mitarbeiter, Sekretärinnen und Putzfrauen? Ist die Lohndifferenz gerechtfertigt, weil er sehr viel besser qualifiziert ist und sehr viel mehr und härter arbeitet als die anderen? Oder weil seine US-amerikanischen Kollegen auch so viel verdienen? Ist das hohe Gehalt eines Topmanagers auch dann gerechtfertigt, wenn sein Unternehmen Mitarbeiter entlässt, um Verluste zu kompensieren? Und was ist mit den Working Poor, von denen es auch in der Schweiz immer mehr gibt? Ist es fair, dass sie für ihre Arbeit einen Lohn erhalten, von dem sie nicht leben können? Oder sollte – muss – es Mindestlöhne geben?
Mit solchen Fragen beschäftigt sich das Projekt «Gerechte Löhne und Arbeitsgerechtigkeit» von Anton Leist und Carsten Köllmann. Es ist ein Versuch, Welten zusammenzubringen, die sonst weit voneinander entfernt zu sein scheinen: Philosophie und Ökonomie. Da gibt es jede Menge Vorurteile – etwa Philosophen schwebten in Begriffshimmeln, ohne sich an der Wirklichkeit die Hände schmutzig zu machen, während Ökonomen als Marktapostel gelten, die keinen Gedanken an Würde und Gerechtigkeit verschwenden.
Das soll sich ändern. Anton Leist, Professor für praktische Philosophie und Leiter der Arbeits- und Forschungsstelle Ethik, und Carsten Köllmann, ursprünglich Ökonom und Wissenschaftsphilosoph und jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ethikzentrum, wollen die Grenzen ihrer Disziplinen erweitern. In ihrem Projekt verbinden sie Einsichten aus der Ethik mit betriebs- und volkswirtschaftlichen sowie arbeitspsychologischen Analysen. Anlass für ihr gemeinsames Projekt war die grosse Empörung über die hohen Gehälter von Spitzenmanagern, wie beispielsweise den Bankern. «Die Schere öffnet sich immer weiter», erklärt Leist, «während 1970 das Verhältnis 30:1 war – Manager verdienten damals dreissigmal mehr als durchschnittliche Angestellte – ist das Verhältnis heute 300:1.»
Leist und Köllmann befassen sich aber nicht nur mit den Gehältern von Topmanagern, sondern mit jenen aller Lohngruppen. Und dabei geht es nicht nur um Qualifikation und Leistung. Bei der Frage nach gerechten Löhnen sollte vielmehr auch berücksichtigt werden, ob eine Tätigkeit gesellschaftlich erwünscht ist, etwa die Arbeit von Krankenschwestern und Altenpflegern, und ob ein Job unangenehm und gefährlich ist wie die Beseitigung des Mülls und das Entschärfen von Bomben. Dabei und auch bei allen anderen Fragen des Projekts folgen die beiden Forscher Gerechtigkeitsvorstellungen, die die meisten Menschen – das haben Studien gezeigt – intuitiv besitzen. Bei ihren Untersuchungen gehen sie zudem von einer Prämisse aus: Arbeit ist der Kern der gesellschaftlichen Integration – «die Gesellschaft versteht sich über das gemeinsame und politisch regulierte Arbeiten. Es ist zu hoffen, dass sie dies auch in Zukunft tut, sonst kommen grosse Schwierigkeiten individueller wie sozialer Art auf uns zu», sagt Leist. Und Köllman erklärt: «Vielen Arbeitslosen geht es sehr schlecht, und das nicht nur in finanzieller Hinsicht, weil sie ohne Arbeit an einem wichtigen gesellschaftlichen Prozess nicht teilhaben.»
Daraus folgt im Grunde ein Recht auf existenzerhaltende und sinnvolle Arbeit. Das heisst nicht gleicher Lohn für alle und nicht Enteignung der Reichen, auch nicht, dass man Unternehmen zwingen sollte, Leute einzustellen, für die sie keine Arbeit haben. «Ein Recht auf Arbeit ist das eine», sagt Köllmann, «das andere ist die Frage, wie ein solches Recht zu realisieren wäre. Auch das wollen wir untersuchen.» Recht auf Arbeit heisst aber, dass neben Leistung und Effizienz auch Werte wie Würde, Respekt, Lebensqualität und Gerechtigkeit berücksichtigt werden müssen. Dass man davon ausgeht, was ein Mensch verdient – was ihm auch jenseits von Leistung und Effizienz zusteht. Wenn man von diesem erweiterten Verdienstbegriff ausgeht, sollte ein Manager nicht nur deshalb ein exorbitant hohes Gehalt bekommen, weil er sehr viele Untergebene hat oder damit er mit seinen Kollegen in den USA gleichziehen kann. Vielmehr sollte die Höhe seines Gehaltes auch an den Nutzen gekoppelt sein, den er der Schweizer Gesellschaft bringt, und an den Nutzen, den er für sein Unternehmen hat. Wenn es Gewinn macht, kann sein Gehalt steigen – und damit auch jenes der Angestellten. Wenn aber Mitarbeiter entlassen werden müssen, muss das Gehalt des Topmanagers sinken.
Wenn wir uns auf diese und andere alltägliche Gerechtigkeitsvorstellungen besinnen, können wir den sozialen Frieden wahren, meinen der Philosoph und der Ökonom, und um nicht weniger als das geht es in ihrem Projekt. Aber auch um die Frage, wie man dies erreichen kann, ohne dass der Arbeitsmarkt zusammenbricht.