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Mit 450 Personen, die am Jubiläumskongress «Differences, Diversity, and Change» der Schweizerischen Gesellschaft für Psychologie teilnehmen, und 375 Beiträgen, die zu hören sind, hat der Kongress neue Dimensionen erreicht. Prof. Mike Martin, der den Anlass mit organisiert hat, freut sich darüber, dass das Jubiläum in Zürich gefeiert wird – so könne die grösste Schweizer Universität zeigen, dass hier trotz hoher Studierendenzahlen Forschung auf international beachtetem Niveau stattfinde.
Zürich weist eine lange Tradition in psychologischer Forschung auf, die bis 1874 zurück reicht. Einer der ersten Experimentalpsychologen, Wilhelm Wundt, unterrichtete ein Jahr lang in Zürich, wo bereits 1898 zum ersten Mal eine Ausbildung in experimenteller Psychologie angeboten wurde. Dass der Jubiläums-Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Psychologie in Zürich stattfindet, macht also auch von der Tradition her gesehen Sinn.
Der Kongress setzt in den Bereichen «emotionale, affektive Psychologie», «Entwicklungspsychologie» und «Neuropsychologie» die Schwerpunkte, in diesen Bereichen sind laut Mike Martin derzeit besonders interessante Veränderungen zu beobachten. So haben zum Beispiel alle Schweizer Universitäten in Psychologie einen Schwerpunkt auf Life Span Development gesetzt: Sie führen also Langzeitstudien durch, in denen sie die gleichen Studienteilnehmer zu verschiedenen Zeitpunkten befragen. Im Gegensatz zu Querschnittstudien lassen sich mit Längsschnittstudien die Ursachen bzw. Faktoren herausfinden, die einer günstigen Entwicklung förderlich sind beziehungsweise wie sich psychische Erkrankungen ankündigen. Die auf zwölf Jahre angelegten NCCRs (National Centres of Competence in Research) des Schweizerischen Nationalfonds wie zum Beispiel das SESAM-Projekt in Basel, das die Risiko- und Schutzfaktoren für psychische Erkrankungen vom Kleinkindalter bis ins junge Erwachsenenalter untersucht, sind dem langfristigen Ansatz verpflichtet.
Langfristig angelegte Grundlagenforschung kann – anders als man auf den ersten Blick denken würde – auch kurzfristigen therapeutischen Nutzen mit sich bringen. Indem die Forschenden zum Beispiel herausfinden, welche Behandlungen sich unter welchen Umständen am besten bewähren beziehungsweise welche präventiven Massnahmen am besten greifen.
Wie man individuell unterschiedliche psychische Gesundheit und Lebensqualität einheitlich erfassen kann, ist methodisch gesehen eine schwierige Aufgabe. «Dazu werden momentan ganz neuartige Konzepte und Methoden entwickelt», sagt Prof. Martin. «Diese wollen der Unterschiedlichkeit des individuellen Wohlbefindens und Erkrankens gerecht werden und dennoch sinnvolle Interventionen ermöglichen, die auf die individuelle Situation zugeschnitten sind.» Die Neuropsychologie spiele bei der Erforschung solcher Fragen eine wichtige Rolle; denn sie untersuche derzeit beispielsweise in der Gerontologie die unterschiedlichen Mechanismen verschiedener Altersstufen, die zum erfolgreichen Bewältigen der gleichen Aufgabe führen. Ein Beispiel: Jugendliche gehen anders mit Depressionen um als ältere Personen; je unterschiedliche Faktoren helfen den beiden Altersgruppen beim Bewältigen der psychischen Erkrankung.
«Wir gehen heute davon aus, dass eine Therapie nicht mehr für alle Personen gleichermassen wirksam ist», bringt es Prof. Martin auf den Punkt, «deshalb möchten wir zunehmend sagen können, welche Therapie für welche Person zu empfehlen ist und die grösste Wirkung erzielen wird.» Seit längerem beobachten Motivationspsychologinnen und -psychologen zum Beispiel die Tatsache, dass erkrankte Individuen auf die gleichen Medikamente nicht gleich ansprechen. Je nachdem, wie überzeugt das Individuum von einer Behandlung ist, spricht es unterschiedlich darauf an. Bei der Frage, wie wirksam eine Behandlung ist, muss deshalb neben der Physis immer auch die psychische Einstellung der Betroffenen dazu berücksichtigt werden.
Um die Rahmenbedingungen psychologischer Forschung geht es am 10. Kongress an einem Round-table-Gespräch zum geplanten Verfassungsartikel zur Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz). «Die ganz normale psychologische Grundlagenforschung wird durch den derzeitigen Gesetzesentwurf in Frage gestellt», sagt Martin. Der vorliegende Gesetzesentwurf wolle psychologische Forschung auf einwilligungsfähige Personen beschränken, was Studien beispielsweise mit minderjährigen Kindern, psychisch Kranken oder an Demenz Erkrankten verunmöglichen würde. Für Prof. Martin ist jedoch klar, dass diese und andere «nicht einwilligungsfähigen» Personengruppen auch in Zukunft – natürlich unter Berücksichtigung der üblichen ethischen Richtlinien – von der ganzen Breite psychologischer Forschung, von der Grundlagenforschung bis zur anwendungsorientierten Forschung, profitieren können sollen.