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Tanzkörper, Textkörper und andere Gender Studies

Das diesjährige Kolloquium zu Gender Studies im Hochschulraum Zürich hatte – unbeabsichtigt – einen Schwerpunkt: der Körper in all seinen Ausprägungen.
Brigitte Blöchlinger

Gender Studies haben immer in irgendeiner Form mit «Körper» zu tun, denn «gender» als kulturelles Geschlecht steht per definitionem indirekt in Beziehung zum biologischen Geschlecht (englisch «sex»), das seinerseits nicht losgelöst vom konkreten Körper vorstellbar ist. Trotzdem fällt auf, dass am diesjährigen Kolloquium zu Gender Studies im Hochschulraum Zürich einige Forscherinnen und Forscher einen recht direkten thematischen Bezug zum Körper gewählt haben.

Tanzen, um Franco-Spanien aus der Isolation zu verhelfen: Coros y Danzas.

Tanzende «Nationalkörper»

Cécile Stehrenberger zum Beispiel, Lizentiandin bei Prof. Philipp Sarasin am Historischen Seminar der UZH, recherchierte in den Archiven von Madrid über die Chor- und Tanzgruppen «Coros y Danzas», die zwischen 1948 und 1955 als weibliche Repräsentantinnen der faschistischen Falange und des katholischen Nationalkatholizismus durch Europa und Lateinamerika tourten, um Spanien aus der politischen Isolation unter Diktator Franco zu holen. Die Tänzerinnen riefen auf der Bühne einen «traditional body» an und präsentierten ihre Folkloretänze als «nation building event», bei dem männliche und weibliche Geschlechtsmerkmale durcheinander gerieten, so dass die weiblichen Geschlechtskörper wie eine «Gender Parody» wirkten.

Umdeutende Textkörper

Auf ganz anderer Ebene, nämlich jener der Lyrik, beschäftigt sich PD Dr. Rita Catrina Imboden in ihrer Habilitation mit «Verkörperungsprozessen» und Umdeutung von Werten. Die Romanistin geht von der Hypothese aus, dass literarische Kommunikation auf einer vielschichtigen Analogie zwischen dem Textkörper und dem Körper der Leserin oder des Lesers beruht, und erörterte in ihrem Vortrag das Verhältnis zwischen weiblicher Identität, Körperlichkeit und Dichtung im Werk der schweizerisch-argentinischen Lyrikerin Alfonsina Storni (1892–1938). Anhand eines exemplarischen Gedichts («Inutil soy») zeigte sie auf, welche Verkörperungsprozesse im Textverlauf zu einer Umdeutung und Umkehrung von Werten führen.

Machtgefälle zwischen den Geschlechtern: indisches Ehepaar.

Aufgeschriebene Körpernöte

Ebenfalls sprachbezogen geht es in Peter-Paul Bänzigers Dissertation zu «Aspekten geschlechtstypischen Schreibens über (sexualisierte) Gewalt in Briefen an eine Ratgeberin» um den Körper. Einmal mehr dienen die zahllosen Briefe an die frühere Sex-Ratgeberin des «Blicks», Martha Emmenegger, als Fundus für die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Sex-Nöten der Schweizerinnen und Schweizer. Der Historiker Bänziger fokussiert dabei vor allem auf die unterschiedliche Wahrnehmung, die sich in den Briefen von Männern und Frauen abzeichnet, die indirekt bzw. direkt von Gewalt betroffen sind. Während sich Frauen bei der «lieben Martha» eher allgemein über sexuelle Gewalt empören, geht es den Brief schreibenden Männern vor allem darum, dass sie sich im Ausleben der eigenen sexuellen Wünsche behindert fühlen, wenn ihre Partnerin von sexueller Gewalt betroffen war.

Zweifelhafte Hirnoperationen

«Das Geschlecht der Psychochirurgie», so der Titel der Habilitation der doktorierten Historikerin Marietta Meier, verbindet explizit Gender und Sex. Meier sichtete die Krankenakten von Frauen und Männern, die zwischen 1945 und 1970 in psychiatrischen Kliniken der Schweiz am Gehirn operiert wurden (Leukotomien), und fand bei solchen psychochirurgischen Eingriffen eine grosse Geschlechterdifferenz: In der Schweiz wurden etwa doppelt so viele Frauen leukotomiert wie Männer. Die Überrepräsentation der Frauen wurde in der umfangreichen zeitgenössischen Literatur jedoch nicht thematisiert. Meiers zentrale These ist diesbezüglich, dass in erster Linie jene Patientinnen leukotomiert wurden, die in der Anstalt grosse Probleme bereiteten, wobei sowohl Psychiater als auch Pflegepersonal bestimmte Verhaltensweisen bei Frauen weniger tolerierten.

Verschwendete Leben

Nicht minder fatal kann es Frauen in Indien treffen, wenn der Ehegatte stirbt bzw. sich scheiden lässt. Ohne Mann dazustehen, macht aus einer Inderin in den Augen der Gesellschaft «a waste of life» – obwohl indische Frauen sich rechtlich gesehen scheiden lassen können. Die Dissertandin Nathalie Peyer untersucht, unterstützt von einem Nachwuchsstipendium des Schweizerischen Nationalfonds, welche Bewältigungsstrategien verheiratete Inderinnen unterschiedlicher Kaste anwenden, wenn in ihrer Ehe ernsthafte Auseinandersetzungen auftauchen. Peyer führte zwanzig Interviews mit betroffenen Frauen in der südindischen Stadt Madurai durch; die Auswertung steht noch an, doch als erster Eindruck kann bereits gesagt werden, dass einige der Frauen auf Konflikte recht traditionell reagieren, etwa indem sie sich klaglos dem Gatten unterordnen. Unter der jüngeren, gebildeten Generation in der Stadt hingegen konnte die Forscherin Veränderungen feststellen.

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