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Quintus Smyrnaeus – ein Homer-Epigone in Zürich

Ein dürrer Stil und ein nüchternes Naturell wurde dem Epiker Quintus Smyrnaeus von Altertumswissenschaftlern bescheinigt. Was macht den «schlechtesten Dichter des Altertums» zum aktuellen Forschungsthema? Eine Tagung über Quintus Smyrnaeus an der Universität Zürich beantwortete diese Frage.
Nicola Dümmler

«Dem Dichter [Quintus Smyrnaeus] geht die Fähigkeit ab, aus diesen Stoffschichten eine künstlerische Einheit zu schaffen. Die Erzählung ist ganz schülerhaft, ohne Spannung und Leben, der Ausdruck, mit manchen kleinen Variationen, ebenso wie zahlreiche Einzelmotive aus Homer (...) geborgt, die Epitheta farblos und einförmig, mit einem gewissen sentimentalen Zug, die Schilderung gelegentlich kleinlich bis zum Geschmacklosen. (...) Die Sentenzen sind gewöhnlich recht banal.»

Mit diesem Urteil lässt das «Handbuch der Altertumswissenschaft» überhaupt kein gutes Haar an Quintus Smyrnaeus, einem spätantiken Epiker aus dem 3. Jh. n. Chr. Sein Werk, die Posthomerica, schliesst direkt an die homerische Ilias an und berichtet die Geschehnisse zwischen den beiden homerischen Epen Ilias und Odyssee. Weitere altertumswissenschaftliche Nachschlagewerke zielen in dieselbe Richtung und bescheinigen Quintus ein «recht nüchternes Naturell», beklagen die «Dürre des Stils» und seine Verstösse «gegen die Überlieferung» und konstatieren einen «Mangel an Phantasie». Ja, es wurde in der Forschung sogar vom «schlechtesten Dichter des Altertums» gesprochen allerdings mit Fragezeichen.

Kein Wunder also, dass Quintus Smyrnaeus' Posthomerica heutzutage kaum gelesen und wenig erforscht wird. Einer breiten Öffentlichkeit ist das Werk nur indirekt bekannt und wird nur indirekt und zumeist unbewusst rezipiert, etwa über Gustav Schwabs «Sagen des klassischen Altertums» oder Wolfgang Petersens Film «Troy», in denen die bekannten Episoden von der Eroberung Trojas durch die List mit dem hölzernen Pferd nacherzählt werden.

Quintus Smyrnaeus' Posthomerica im neuen Licht

Vom 29. September bis zum 1. Oktober 2006 fand zu eben diesem Autor die allererste Tagung unter dem Titel «Quintus Smyrnaeus – ein kaiserzeitlicher Sophist im homerischen Gewand» statt, organisiert von Prof. Dr. Manuel Baumbach und lic. phil. Silvio Bär vom Klassisch-Philologischen Seminar der Universität Zürich. Das Ziel dieses Kongresses, an dem nahezu alle namhaften Quintus-Forscher von Australien bis Schottland teilnahmen, bestand nicht darin, Quintus und sein Werk durch intensive philologische Beschäftigung pauschal als besonders wertvoll nobilitieren zu wollen.

Die Tagungsteilnehmer auf dem Balkon des Klassisch-Philologischen Seminars (von links nach rechts): Prof. Dr. Paul Schubert, André-Louis Rey, Leyla Ozbek, Silvio Bär, Fotini Hadjittofi, Prof. Dr. Ursula Gärtner, Dr. Robert Shorrock, Prof. Dr. Thomas Schmitz, Prof. Dr. Manuel Baumbach, Prof. Dr. Alan James, Calum Maciver, Martine Cuypers, Emily Kneebone, PD Dr. Knut Usener, Katerina Carvounis, Dr. Georgios Tsomis, Catherine Germond, Bernhard Fuchs, Bellini Boyten.

Vielmehr stand der Versuch im Vordergrund, gerade dem Merkwürdigen und als negativ Kritisierten am «Homer-Epigonen» Quintus nachzugehen und die Posthomerica innerhalb der kaiserzeitlichen Sophistik – einer Epoche intensiver Auseinandersetzung mit den klassischen antiken Autoren wie Platon und den attischen Rednern – zu verorten. So wurde insbesondere der Frage nachgegangen, ob die – in Teilen sicher berechtigte – Skepsis früherer Philologen nicht gerade den Blick verstellt hat für innovative Ansätze, überraschende intertextuelle Dialoge, narratologische Eigenheiten und gattungsgeschichtliche Besonderheiten, die unter Berücksichtigung moderner Forschungstendenzen und literaturtheoretischer Konzepte ein neues Licht auf Quintus' Posthomerica werfen können.

Eröffnet wurde die Tagung durch einen Vortrag von Professor Alan James (Sydney), der unter dem Titel «Quintus of Smyrna and Virgil: A Matter of Prejudice» dem Verhältnis von Quintus Smyrnaeus zum lateinischen Epiker Vergil nachging – eine Frage, die in der Forschung seit langem kontrovers diskutiert wird. Im Anschluss wurden Quintus' Posthomerica unter vier thematischen Schwerpunkten untersucht: Am Freitag verfolgten die Forscher primär werkimmanente Fragestellungen, wobei zum einen Aspekte der Allegorie, Symbolik und kosmischen Ordnung, zum anderen das dichterische Programm und mögliche poetologische Passagen thematisiert wurden. Am Samstag standen die Bedeutung und der Einfluss des literarischen Umfelds auf Quintus mit vornehmlich werkübergreifenden, intertextuellen Fragestellungen auf dem Programm.

Nachfolgetagung geplant

Das Konzept der Tagung, anhand eines vorab verschickten Readers eine möglichst intensive Diskussion der Beiträge zu ermöglichen, ging auf: Nach einer kurzen Zusammenfassung, in der den Tagungsteilnehmern und externen Zuhörern die Hauptthesen des Beitrags in Erinnerung gerufen wurden, kam es zu lebhaften und zuweilen auch kontroversen Diskussionen.

In zwei Punkten waren sich dabei alle Teilnehmer einig: Erstens entpuppt sich der angeblich schlechteste Dichter des Altertums mehr und mehr als innovativer kaiserzeitlicher Sophist im homerischen Gewand. Ein für 2007 geplanter Tagungsband will diese Erkenntnisse weiter vertiefen und einer breiten Öffentlichkeit vermitteln; eine Nachfolge-Tagung ist bereits angedacht. Zweitens war Zürich nicht zuletzt wegen des ansprechenden Begleitprogramms, mit der Führung durch das römische und mittelalterliche Zürich von Professor Peter Stotz, ein idealer Tagungsort.