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Experimente für das breite Publikum

Wenn Forschende das Labor verlassen und ihre Experimente mitten in die belebte Bahnhofshalle Zürichs verlegen, können sie dann trotzdem brauchbare Daten erhalten? Der Bewegungswissenschaftler Eling de Bruin und der Gerontopsychologe Mike Martin haben im Rahmen der Zürcher Life Science Woche das Experiment gewagt.
Theo von Däniken

Wie steht es mit dem Gleichgewicht? Im Rahmen der Life Science Woche führten die Universität und die ETH Zürich am vergangenen Freitag und Samstag öffentliche Experimente in der Bahnhofshalle Zürich durch.

Mal gerade eben im Vorbeigehen Proband in einem wissenschaftlichen Experiment sein? Am vergangenen Freitag und Samstag war dies in der Zürcher Bahnhofshalle möglich. Zwei Forschungsprojekte der Universität und der ETH Zürich führten im Rahmen der Life Science Woche öffentliche Experimente zum Gleichgewichtssinn und zur Gedächtnis- und Lernleistung durch. Am Donnerstag abend stellten der Bewegungswissenschaftler Eling de Bruin vom Institut für Bewegungs- und Sportwissenschaften der ETH Zürich und Mike Martin vom Psychologischen Institut der Universität Zürich zum Abschluss der Life Science Woche die vorläufigen Ergebnisse der beiden Experimente vor.

Schwanken im Stillstand

De Bruin liess am Samstag Menschen auf einer Kraftmessplatte stillstehen, um zu messen, wie die Probanden mit kleinen Schwankungen des Körpers das Gleichgewicht stabilisieren. Aus der Forschung ist bekannt, dass Menschen zwischen 16 und 65 Jahren im Durchschnitt relativ kleine Bewegungen machen, um im Gleichgewicht zu bleiben. Kinder unter 16 Jahren und Menschen ab 65 schwanken demgegenüber stärker, haben also ein weniger stabiles Gleichgewicht, auch wenn sie stillstehen.

In den Experimenten im Hautpbahnhof konnte de Bruin diesen Befund bestätigen. Weiter zeigte sich, dass das Gleichgewicht weniger stabil ist, wenn die Probanden gebeten werden, die Augen zu schliessen und wenn sie zusätzlich eine Denkaufgabe lösen müssen. Ein Hinweis darauf, dass vor allem mit zunehmendem Alter verstärkt kognitive Kapazitäten eingesetzt werden müssen, um das Gleichgewicht zu stabilisieren. Das kann dazu führen, dass beispielsweise ältere Menschen nicht gleichzeitig gehen und sprechen können.

Eling de Bruin will älteren Menschen zu einem besseren Gleichgewicht verhelfen.

Gesellschaftlich relevante Forschung

Gesellschaftliche Relevanz erhält die Bewegungsforschung angesichts der demografischen Entwicklung. Denn ab einem Alter von 65 Jahren nimmt die Häufigkeit von Sturzunfällen aufgrund von Problemen mit dem Gleichgewicht stark zu. Mit der wachsenden Zahl von Menschen in dieser Altersgruppe, steigt auch das Risiko von Sturzunfällen und den damit verbundenen Verletzungen, bzw. Kosten im Gesundheitswesen. De Bruin ist deshalb an Möglichkeiten zur Vorbeugung und zum Training des Gleichgewichts im Alter interessiert. Mit Stärkung der Muskulatur, vor allem in den Beinen und im Gesässbereich, sowie mit regelmässigem Gehen auf unterschiedlichen und unebenen Oberflächen lässt sich das Gleichgewicht besser halten, so de Bruin.

«Use it or loose it», ist auch bei dem von Mike Martin bearbeiteten Fachgebiet ein oft gehörter Spruch; gemeint sind Gedächtnis- und Lernfähigkeit des Menschen. Ob allerdings ein gut trainiertes und häufig gebrauchtes Gedächtnis im Alter zu besseren Gedächtnisleistungen führt, ist empirisch noch zu wenig erforscht, erklärte Martin. Um den Lern- und Gedächtnisleistungen im Bezug zum Lebensalter auf die Spur zu kommen, liess er am Freitag und Samstag im Bahnhof die Probanden einen einfachen Gedächtnistest fünf Mal in Folge absolvieren.

Ob Gedächtnistraining bessere Gedächtnisleistungen im Alter hervorbringt, ist für Mike Martin empirisch noch zu wenig erforscht.

Lerneffekte in jedem Alter

Dabei zeigte sich, dass im Durchschnitt jüngere Personen eine leicht bessere Gedächtnisleistung zeigten. Bezüglich der Lernkurve gab es altersspezifisch jedoch nur geringe Unterschiede. Das heisst, in allen Altersstufen löste der Durchschnitt die Gedächtnisaufgabe beim letzten Mal besser als beim ersten Mal. Für Martin sind denn auch die individuellen Unterschiede, die sich in allen Altersgruppen zeigen, bedeutender, als der so genannte Alterseffekt, d. h. die tendenziell abnehmende Gedächtnisleistung mit zunehmendem Alter.

So gab es bezüglich der Lernleistung bei den 70- bis 80-jährigen Spitzenwerte, die in der Gruppe der 40- bis 60-jährigen nicht erreicht wurden. Ob diese Leistungen Folge eines langjährigen «Trainings» bzw. intensiven Gebrauchs des Gedächtnisses sind, konnte das Experiment nicht beantworten. Dazu wäre es nötig, dieselben Personen über eine längere Zeitspanne hinweg erneut zu testen.

Über 600 Teilnehmende

Das öffentliche Experiment – nach Angaben der Veranstalter das erste in der Schweiz – war für Martin jedenfalls ein voller Erfolg. Über 600 Probanden nahmen daran teil. «Mehr hätten wir in der zur Verfügung stehenden Zeit gar nicht betreuen können», so Martin. Der Schritt in die ungewohnte Umgebung hat sich aber nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht gelohnt: «Wir konnten den Menschen zeigen, wie wir Forschung betreiben. Das hat bei vielen Besuchenden Schwellenängste gegenüber der Wissenschaft abgebaut.»

Zufrieden mit dem Experiment «Life Science Woche» ist auch die Organisatorin Petra Baettig-Frey von Life Science Zurich. «Vor allem mit den Experimenten in der Bahnhofshalle konnten wir viele junge Menschen ansprechen», sagt Baettig. Aber auch die zahlreichen Vorträge und Foren stiessen meist auf grosses Echo. Für Baettig ist jedenfalls klar: In zwei Jahren wird es wieder eine Life Science Woche in Zürich geben.