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Darf eine Ärztin einem todkranken Patienten auf dessen Wunsch ein tödliches Medikament verabreichen? Muss sie dem Wunsch des Patienten sogar entsprechen? Gesetzliche Regelungen zu solchen Fragen sind das Eine. Das europäische Forschungsprojekt «Medical end-of-life decisions: Attitudes and practices in six European countries» wollte aber wissen, welche Einstellungen zur Sterbehilfe die Ärztinnen und Ärzte selber haben.
In der Schweiz hat ein interdisziplinäres Team der Universität Zürich rund 1400 Ärztinnen und Ärzte in den drei Sprachregionen dazu befragt. Die Ergebnisse wurden in der neuen Ausgabe der medizinischen Fachzeitschrift «Swiss Medical Weekly» veröffentlicht.
Die Ergebnisse zeigen, dass in allen drei Sprachregionen eine grosse Mehrheit der Befragten der «passiven Sterbehilfe» zustimmen. Auf lebenserhaltende Massnahmen soll demnach verzichtet werden dürfen, sofern der Patient oder die Patientin dies wünscht, finden beispielsweise durchschnittlich 94 Prozent der Ärztinnen und Ärzte.
96 Prozent der Befragten sind auch mit der «indirekt aktiven Sterbehilfe» einverstanden, bei welcher in Kauf genommen wird, dass mit einer medikamentösen Behandlung von Schmerzen und Symptomen der Tod schneller eintritt. Soweit widerspiegeln diese Einstellungen die gesetzlichen Regelungen in der Schweiz sowie die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW).
Weniger einig sind sich die Ärztinnen und Ärzte, was die «aktive Sterbehilfe» anbelangt. Einem unter starken, unkontrollierbaren Schmerzen leidenden Patienten auf dessen Wunsch tödliche Medikamente zu verschreiben, diese «Suizidbeihilfe» ist zwar legal, sofern keine selbstsüchtigen Motive im Spiel sind. Solche Medikamente als Arzt dem Patienten auch zu verabreichen, gilt allerdings als aktive Sterbehilfe und ist gesetzlich nicht erlaubt.
Die Studie zeigt nun, dass rund die Hälfte der Befragten diese beiden Formen der Sterbehilfe als akzeptabel erachten beziehungsweise erachten würden.
Rund ein Drittel der Befragten stimmen der verbotenen «aktiven Sterbehilfe ohne Verlangen» zu. Darunter ist zu verstehen, dass einem kurz vor dem Tode stehenden Patienten, der unerträglich leidet und nicht mehr fähig ist, Entscheidungen zu treffen, ein tödliches Medikament verabreicht wird.
Beträchtliche Unterschiede in diesen Einstellungen gibt es zwischen den drei Sprachregionen der Schweiz. Ärztinnen und Ärzte in der Deutschschweiz befürworten die passive Sterbehilfe stärker als ihre Kolleginnen und Kollegen in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz. Dagegen stimmen die Romands den aktiven Formen der Sterbehilfe sowie der Suizidbeihilfe häufiger zu als Ärztinnen und Ärzte in der deutschsprachigen Schweiz. Italienischsprachige Ärztinnen und Ärzte äussern sich viel häufiger für die Lebenserhaltung unter allen Umständen als die übrigen Ärztinnen und Ärzte.
Dieselben sprachregionalen Unterschiede haben andere internationale Studien auch zwischen Deutschland, Frankreich und Italien festgestellt. Die Schweiz stellt somit in Bezug auf die Einstellungen zur Sterbehilfe Europa im Kleinen dar. Allerdings vermögen die vorliegenden Studien keine Erklärung dafür zu liefern, warum dies so ist. Klar ist, dass weder das Geschlecht, das Alter noch die medizinische Fachrichtung der Ärztinnen und Ärzte die Unterschiede massgeblich erklären können.
In ihrer Dissertation wird die Autorin dieses Textes möglichen Erklärungen vertieft nachgehen. Hinweise dazu ergeben sich aus früheren Studien. Demnach kommt beispielsweise in Italien dem Wunsch der Angehörigen eine überdurchschnittliche Bedeutung zu. Wie auch die aktuelle Studie zeigt, wünschen diese häufiger als in anderen Ländern, dass selbst in aussichtslosen Situationen noch möglichst alles zur Lebenserhaltung unternommen wird.
Vertiefen wird die Dissertation auch den Zusammenhang zwischen Religiosität und Sterbehilfe. Es zeigt sich nämlich, dass religiöse Ärztinnen und Ärzte die Sterbehilfe häufiger ablehnen. Dies trifft vor allem auf die aktive Sterbehilfe und die Suizidbeihilfe zu, mit der passiven sowie indirekt-aktiven Sterbehilfe haben auch religiöse Ärztinnen und Ärzte keine Mühe. Allerdings kann auch die Religiosität nicht die sprachregionalen Unterschiede erklären, sondern tritt als eigenständiger Einflussfaktor auf.
Dem interdisziplinären Team an der Universität Zürich gehörten Forschende aus Soziologie, Rechtsmedizin, Sozial- und Präventivmedizin sowie Sozialethik an.