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In den fortschrittsgläubigen Sechzigerjahren waren die Prioritäten noch klar: Das Bedürfnis, sich in der eigenen Blechkiste mit 120 Stundenkilometern fortzubewegen, war wichtiger als das Ruhebedürfnis lärmgeplagter Privatpersonen. So lehnte das Bundesgericht 1968 denn auch die erste Strassenlärm-Entschädigungsklage von Autobahnanwohnern ab.
Doch in den Folgejahren änderte sich die öffentliche Meinung langsam, aber stetig. Und die Gesetzgebung zog in vielen Bereichen nach. 1980 trat das Raumplanungsgesetz in Kraft, 1985 das Umweltgesetz; Recyclinggebühren wurden auf elektronische Geräte erhoben, die Abfallentsorgung besteuert – kurz: Ökologisches Denken bekam Aufwind und mit ihm das Verursacherprinzip: Wer Lärm oder Dreck macht, soll dafür zahlen. Doch just die grössten Lärmverursacher wie das Fluggeschäft (und der Bahn- und Strassenverkehr) bilden die Ausnahme der Regel. Denn würden die Flughäfen nach dem Verursacherprinzip angegangen, hätten sie Entschädigungen für Immobilien-Wertverluste in Milliardenhöhe zu berappen. Noch 1995 hat das Bundesgericht deshalb eine Lärmklage gegen den Flughafen Genf vorwiegend negativ beurteilt, zuungunsten der Lärmbetroffenen. Nur wer übermässigem Lärm ausgesetzt war und vor 1961 sein Haus gekauft hatte sowie einen Schaden von über zehn Prozent erlitten hatte, bekam eine Entschädigung; die grosse Mehrheit ging leer aus.
Trotzdem sieht Jus-Doktorand Kaspar Plüss Chancen für die Kläger im 2007 geplanten Pilotprozess der Lärmgegner gegen den Flughafen Zürich: «Die Raumplanung in Zürich ist mit Genf nicht vergleichbar, und die Akzeptanz des Verursacherprinzips hat in den letzten zehn Jahren zugenommen», begründet er seine Einschätzung. Natürlich seien die wirtschaftlichen Interessen eines Flughafens sehr hoch zu bewerten, doch «ist es auch ökonomisch effizienter, wenn der Lärmverursacher für die Lärmschäden aufkommen muss»; dann werde er bereits bei der Planung darauf achten, dass die Flugzeuge so fliegen, dass am wenigsten Kosten anfallen, glaubt Plüss, «er wird dann nicht über dicht besiedeltes Gebiet anfliegen.»
Die Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen, die das Bundesgericht bei den Klagen der Fluglärm-Gegner und -Gegnerinnen zu berücksichtigen hat, sind zahlreich und widersprüchlich. Nur schon die Festsetzung der Lärmgrenzwerte ist eine Sache für sich und weder unbestritten noch objektiv. Vergegenwärtig man sich in einem nächsten Schritt die unterschiedlichen Immissions-Folgekosten und die Interessen, die dahinter stehen, wird die Komplexität enorm: Wie hoch ist der volkswirtschaftliche Nutzen des Umsteigeflughafens (Hub) Zürich bzw. ist er wirklich so hoch, dass morgens und am Wochenende keinerlei Flugbeschränkungen gerechtfertigt sind, die die Anwohner schlafen liessen? Sind die finanziellen Interessen des Flughafens höher zu gewichten als jene der Hausbesitzerinnen und -besitzer? Den Hauptharst der Flugbewegungen macht der Tourismus aus – soll Flugmobilität uneingeschränkt wachsen oder darf sie limitiert werden? Von wem, wie stark? Wie sieht es mit der Kostenwahrheit aus? Bis zu welchem Preis soll der Flughafen Zürich im internationalen Wettbewerb mitmachen?
Wie die Einschätzung der Richter beim Fluglärm-Prozess ausfallen wird, darüber lässt sich nur spekulieren. Das Urteil wird wohl sehr salomonisch ausfallen müssen, damit es den gegensätzlichen privaten und öffentlichen Interessen gerecht wird. Noch vor dem Urteil, das vermutlich 2007 erfolgt, möchte Doktorand Kaspar Plüss seine Dissertation «Interessenabwägung im Zusammenhang mit Landesflughäfen. Mit besonderer Berücksichtigung von fluglärmbedingten Eigentumsbeschränkungen im Bereich des Flughafens Zürich» abschliessen. So können sich interessierte Kreise im Vorfeld des Prozesses schon einmal das juristische «Hinterland» der verfeindeten Parteien zu Gemüte führen.