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Ein grosser Teil der Erstklässlerinnen und Erstklässler können beim Schuleintritt schon so gut lesen und rechnen, wie sie dies nach der ersten Klasse gemäss Lehrplan sollten. Zudem gehen rund drei Viertel der Kinder gerne zur Schule und schätzen ihre Kompetenzen hoch ein. Das hat die vom Kompetenzzentrum für Bildungsmessung und Leistungsevaluation der Universität Zürich bei 2000 Erstklässlerinnen und Erstklässlern im Kanton Zürich erstmals durchgeführte Lernstandserhebung ergeben.
An einer Medienkonferenz informierten Prof. Dr. Urs Moser und Prof. Dr. Jürgen Oelkers von der Universität Zürich sowie Regierungsrätin Regine Aeppli über die ersten Ergebnisse aus der auf neun Jahre angelegten Längsschnitt-Studie. Wie Urs Moser vom Kompetenzzentrum für Bildungsmessung und Leistungsevaluation der Universität Zürich anhand der Ergebnisse erläuterte, sind die Unterschiede im Lesen, Rechnen und im Wortschatz beim Schuleintritt gross. Dies wirkt sich auf die Unterrichtsgestaltung aus: «Weil die Kinder mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schule eintreten, können ihnen die Lehrpersonen nur durch konsequentes Individualisieren gerecht werden», lautet eine von Mosers Schlussfolgerungen.
Bedeutend für die unterschiedlichen Voraussetzungen ist die soziale Herkunft der Kinder. Wichtigstes Merkmal dabei ist der Wortschatz, der bei Kindern aus so genannt bildungsnahen Familien von deutschsprachigen Eltern deutlich grösser ist, als bei Kindern aus Immigrantenfamilien oder bildungsfernen Milieus. «Ein guter Wortschatz erleichtert nicht nur den Leselernprozess, sondern das Lernen generell» so Moser. Kinder mit geringem Wortschatz haben deshalb mehr Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen. Die Voraussetzungen, den Rückstand aufzuholen, sind zusätzlich erschwert.
Das Problem sind dabei nicht die Unterschiede innerhalb der Klassen, wo sie nicht so ausgeprägt sind, wie Moser weiter erkjlärte. Viel bedeutender seien die Unterschiede zwischen einzelnen Klassen. Dabei gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem Lernstandsniveau: «Je höher die Klassenmittelwerte bei der sozialen Herkunft sind, desto höher sind auch die Klassenmittelwerte des Wortschatzes.» Dies führe dazu, dass Schulen mit einem hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien mit einem deutlich tieferen Lernstand starteten.
Für Moser ist deshalb eine wichtige Schlussfolgerung, dass die benachteiligten Kinder möglichst früh gefördert werden sollen, damit insbesondere ihre sprachlichen Nachteile kompensiert werden können. Wie die Studie zeige, sei ein grosser Teil der Kinder schon vor dem Schuleintritt bereit, lesen und rechnen zu lernen. Moser warnte allerdings davor, einen früheren Schuleintritt ohne ein entsprechendes pädagogisches Konzept zu fordern. «Förderung im Vorschulalter heisst nicht, dass die Kinder mit drei Jahren lesen und rechnen müssen.» Wichtig sei vielmehr eine anregungsreiche Umwelt, welche die Kinder zur Literalität und zum handelnden Umgang mit mathematischen Problemen heranführe.
Im Hinblick auf die weitere schulische Entwicklung ergeben sich eine Reihe von Fragen, denen mit der Längsschnittstudie erstmals auch wissenschaftlich auf den Grund gegangen werden kann, wie Prof. Dr. Jürgen Oelkers, Professor für allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich und Bildungsrat des Kantons Zürich erklärte. Denn im Gegensatz zu anderen Studien, die jeweils nur Momentaufnahmen präsentieren, werden in der Zürcher Studie die selben Schülerinnen und Schüler nach der dritten, sechsten und neunten Klasse erneut befragt.
«Die spannende Frage ist, ob und wie weit der Unterricht im Laufe der Schulzeit die Unterschiede im Lernstand bei Schuleintritt beeinflussen und ausgleichen kann.» Bisher wurde laut Oelkers noch nie untersucht, wie Kinder im Laufe ihrer Schulzeit vorankommen. «Jetzt bleiben wir an den einzelnen Kindern dran und werden erstmals im deutschsprachigen Raum einen Langzeitvergleich haben.»
Interessant ist auch die persönliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. «Bleibt die anfängliche Motivation bestehen oder nicht? Was sind die ausschlaggebenden Elemente dafür?» Eine weitere spannende Frage sei, wie die Diskrepanz zwischen dem Lernstandsniveau bei der Einschulung, das eher über dem Lehrplan liegt, und den schlechten Ergebnissen der PISA-Studie zu Stande komme.
In Auftrag gegeben hat die Studie die Bildungsdirektion des Kantons Zürich als ein Element zur Qualitätssicherung in der Volksschule. Obwohl die Studie Argumente für einen flexibilisierten Schuleintritt liefert, gehe es nicht darum, mit der Studie eine politische Mehrheit für die Einführung der Grundstufe zu erreichen, wie Bildungsdirektorin Regine Aeppli festhielt. Sie will deshalb noch mindestens die Resultate der zweiten Befragungsrunde nach der dritten Klasse im Jahr 2006 abwarten, bevor sie daraus konkrete Massnahmen ableiten will: «Wir müssen wissen, wie sich die Schülerinnen und Schüler entwickeln, um geeignete Massnahmen treffen zu können.»