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Epo oder Der lange Atem der Wissenschaft

Erythropoietin (Epo) kennt man schon lange als Doping-Mittel und noch länger als lebenswichtiges Medikament für Nierengeschädigte. Neu haben Forscher der Universität Zürich herausgefunden, dass Epo im Gehirn direkt die Atemfrequenz erhöht. Gut möglich, schlussfolgern sie, dass sich die berühmt-berüchtigte Substanz eines Tages gar als Allzweck-Medikament bei vielerlei Krankheiten einsetzen lässt.
Brigitte Blöchlinger

Internationales Team: der Peru-Schweizer Professor Max  Gassmann, die nigerianisch-englische Molekularbiologin Lara Ogunshola und der bolivianische Biologe  Jorge Soliz mit ihrem wichtigsten «Gehilfen», der transgenen Epo-Maus.

Epo hält nicht nur die Sportwelt in Atem. Auch die Wissenschaft lässt sich vom Bluthormon zu Höchstleistungen anspornen – wohlgemerkt ohne Doping. Am Institut für Veterinärphysiologie wird der Stoff, der zwar häufig in den Schlagzeilen ist, von dem aber längst noch nicht alle Wirkungsweisen bekannt sind, schon länger untersucht. Vor kurzem ist nun ein neues Erkenntnisteilchen dazu gekommen. Dem Physiologen und Institutsleiter Professor Max Gassmann ist die Begeisterung darüber anzumerken: «Wir konnten zeigen, dass Epo im Gehirn die Atmung verbessert», fasst er die jüngsten Resultate seiner Forscherteams zusammen, die am 14. Oktober im renommierten «Journal of Physiology» publiziert werden (online bereits einsehbar).

Internationales Team

Was so einfach tönt, ist die Frucht intensiver Grundlagenforschung von vier Arbeitsgruppen am Institut für Veterinärphysiologie. Deren Gruppenleiter/innen untersuchen aus verschiedenen Blickwinkeln das Umfeld von Sauerstoffmangel und Epo: Die russische Chemikerin Anna Bogdanova geht den roten Blutkörperchen und ihrer Anpassung an Sauerstoffmangel nach; die nigerianisch-englische Molekularbiologin Lara Ogunshola untersucht die Auswirkungen von Sauerstoffmangel im Gehirn; der deutsche Physiologe Johannes Vogel entwickelt eine Herz-Lungen-Maschine für Nager und der deutsch-amerikanische Biologe Thomas Gorr untersucht die Wechselwirkungen zwischen dem Tumorwachstum und Sauerstoffmangel. Die zu den Forscherteams gehörenden Doktorandinnen und Doktoranden stammen ebenfalls aus der ganzen Welt, «inklusive Syrien, Bolivien, ganz Europa – das macht das Forschen spannend», sagt Max Gassmann. Die neuste Erkenntnis geht auf das Konto des bolivianischen Biologen Jorge Soliz und Kollegen. Jorge Soliz stammt ursprünglich aus La Paz, das gut 3500 Meter über Meer liegt, er kennt deshalb die Problematik der Anpassung des Körpers an «dünne» Luft nicht nur theoretisch.

Einer der «Entdecker» der Wirkung von Epo auf die Atemfrequenz: der Biologe Jorge Soliz aus La Paz.

Lebensnotwendig und nützlich

Seit 1992 beschäftigen sich die Teams von Professor Gassmann – der damals noch in der Humanphysiologie bei Prof. Christian Bauer arbeitete – mit Sauerstoffmangel und Epo. Mittlerweile weiss man, wie der Mangel an Sauerstoff sich auf zellulärer Ebene auswirkt: Jede Zelle des Körpers hat Sauerstoffsensoren und reagiert schnell auf Sauerstoffmangel; der Körper schüttet innert weniger Stunden vermehrt Epo aus, was dazu führt, dass mehr rote Blutkörperchen produziert werden, die ihrerseits eine höhere Sauerstoffaufnahme ermöglichen. Dieser Mechanismus ist lebensnotwendig und findet im Alltag – beispielsweise bei Reisen in die Höhe – ebenso statt, wie dass er bei Krankheiten, vor allem bei Nierengeschädigten, gezielt mit der Einnahme von künstlichem Epo angekickt werden kann.

Allzweck-Hormon Epo

Das Medikament Epo wirkt aber auch nach einem Hirn- oder Herzschlag schützend. Bei Mäusen konnte Gassmanns Team in Zusammenarbeit mit Kardiologen des UniversitätsSpitals Zürich bereits zeigen, dass sich die Tiere besser erholen, wenn sie nach einem Hirninfarkt Epo verabreicht bekommen. – Das gleiche gilt bei einer Degeneration der Netzhaut durch zuviel Licht, an der Augenärztinnen und -ärzte um Professorin Charlotte Remé und PD Christian Grimm arbeiten. Andere Forschergruppen konnten nachweisen, dass Epo bei Rückenmarksverletzungen hilft.

Epo hat also offensichtlich mehrere Funktionen; es wirkt einerseits als SOS-Alarmsystem, andererseits als «normale» Regulierungskraft des Sauerstoffbedarfs von Mensch und Tier (Gassmann arbeitet vor allem mit transgenen Mäusen).

Ihr Blut ist so dick wie Honig, trotzdem lebt sie munter vor sich hin: die transgene Epo-Maus.

Schnelle Wirkung auf die Atmung

Bei Sauerstoffmangel findet man bereits nach wenigen Stunden einen hohen Epo-Level im Blut. Bis das Bluthormon allerdings wirkt und mehr sauerstoffbindende rote Blutkörperchen gebildet worden sind, vergehen etwa zwei Wochen. Gassmanns Team vermutete deshalb bei Sauerstoffmangel noch eine weitere, schnellere Wirkung von Epo. Und fand sie im Gehirn: Dort wirkt Epo direkt auf die respiratorischen Zentren und lässt die Atmung besser werden. Bisher erst bei Mäusen; doch zusammen mit einer dänischen Forschergruppe starten demnächst Untersuchungen bei jungen Erwachsenen, denen kontrolliert Epo gespritzt wird.

Nebeneffekt «dickes» Blut

Die Erkenntnis, dass Epo die Atmung anregt, weckt Hoffnungen auf neue, segensreiche Anwendungen des Hormons. Der Veterinärphysiologe Gassmann denkt auch hier transdisziplinär und international: «Vielleicht wird Epo dereinst Frühgeborenen helfen, besser und konstant zu atmen.» Doch sollten diese Untersuchungen in der Neonatologie Zürich durchgeführt werden, findet Gassmann.

Ihm schwebt als nächstes eine Untersuchung vor über die «Nebenwirkung» eines hohen Epo-Wertes: Das Blut seiner Labormäuse wird nämlich durch die vielen roten Blutkörperchen dick wie Honig – und trotzdem leben die Tierchen munter weiter (Menschen würden mit solchen Blutwerten kollabieren). Vor allem die weiblichen Mäuse, hat Gassmanns Team herausgefunden, passen sich besser als Männchen an die «dünne Luft» in der Höhe an. Weshalb? Das soll seine nächste Studie herausfinden – die man als physiologische Gender Study bezeichnen könnte.

Das gute alte (un)bekannte Epo ist doch immer wieder für eine Überraschung gut.

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