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unipublic: Herr Schaedler, in Ihrem Film setzen Sie sich kritisch mit unserem Bild von Tibet auseinander. Was stimmt nicht mit dem mystischen Image dieser faszinierenden Kultur?
Luc Schaedler: Dass Tibet ausschliesslich als spiritueller, religiöser, buddhistischer Ort gesehen und primär mit der Person des Dalai Lama verbunden wird. Dabei vergisst man gerne, dass Tibet ein geografischer Ort ist, der real unter chinesischer Herrschaft existiert, und dass es eine Exilgemeinde gibt, in Indien und im Westen, die nicht freiwillig im Exil lebt. Durch die Wahrnehmung von Tibet als Sitz erleuchteter Mönche tritt das politische Schicksal dieses Volkes zu stark in den Hintergrund.
Eine politische Figur ist die Hauptperson in Ihrem Dokumentarfilm: der rebellische Mönch Gendun Choephel. Wer war dieser Mann?
Gendun Choepel war, kurz gesagt, ein Mönch aus Osttibet, der Zeit seines Lebens neugierig und offen war für die Welt ausserhalb Tibets. Er hat erkannt, dass die tibetische Gesellschaft im Alten gefangen war und den Schritt in die Moderne hätte wagen sollen. Interessant ist, dass er versucht hat, neue Ideen nach Tibet zu bringen, um dadurch die Gesellschaft zu ändern. Doch in genau diesem Punkt ist er an der tibetischen Obrigkeit gescheitert. Sie hat ihn für seine Ideen, die man als sozialistisch oder kommunistisch, jedenfalls als umstürzlerisch definiert hatte, in den Kerker geworfen. An dieser Demütigung ist er 1951 gestorben: Er hat sich in seinen letzten Lebensjahren zu Tode gesoffen.
«Angry Monk» ist die Frucht Ihrer langjährigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit Tibet. Wie manifestiert sich dies im Film und welches ist der Erkenntnisgewinn dieser Arbeit?
Die Recherche hat 1998 begonnen. Damals hatte ich mein Studium in Ethnologie und Filmwissenschaft eben abgeschlossen, übrigens mit einem Dokumentarfilm, «Made in Hongkong». In die Recherche meines zweiten Projektes, Angry Monk, sind sehr viele ethnologische Methoden eingeflossen. Ein wichtiger Teil dieser Methodik ist sicher, dass mir bewusst war, dass ich als Person selber Gegenstand der Forschung bin. Eine andere war das Wissen, wie man überhaupt Recherche macht, Gespräche führt, Interviews auswertet, die Methoden der Oral History eben. In der Filmwissenschaft habe ich mich darüber hinaus intensiv mit den unterschiedlichen Methoden beschäftigt, Dokumentarfilme zu machen.
Zum zweiten Teil der Frage: In Bezug auf eine historische Figur wie Gendun Choepel ist es bereits ein grosser Erkenntnisgewinn, wenn man mit Zeitzeugen spricht und deren Lebensgeschichte aufzeichnet. Viele meiner Interviewpartner sind in der Zwischenzeit gestorben. Das Wissen dieser Leute – nicht nur in Bezug auf Gendun Choepel, sondern auf die tibetische Kultur, den Buddhismus, auf alte Rituale – geht verloren, wenn es niemand festhält.
Welche Rolle kann denn der Film in der wissenschaftlichen Arbeit spielen? Das Bild ist ja gegenüber dem Text generell mit dem Makel des Unwissenschaftlichen behaftet.
Dieser Makel ist so mit den Anfängen des Films verbunden, dass er kaum mehr loszuwerden ist. Man kann nur hoffen, dass es immer mehr Leute gibt – Professoren, Professorinnen –, die Film nicht nur als Anschauungsmaterial, sondern auch als wissenschaftliche Methode in ihre Forschung integrieren. Aber es geht auch darum, wie sich die Hochschule gegen aussen präsentiert. Viele Leute sehen die Uni ja als einen abgehobenen Zirkel von Leuten, die sich mit unnötigen Dingen beschäftigen. Es findet selten eine Kommunikation mit dem normalen Steuerzahler statt. Hier eignet sich der Film vielleicht besser als Bücher, auch eine Art Showcase für die Arbeit zu sein, die an der Uni geleistet wird.
Wie hat die Universität Zürich Ihr Projekt unterstützt? Auf welche Weise fördert sie das Filmschaffen generell?
Bei «Made in Hongkong» habe ich nicht nur die Autorisierung von Professor Michael Oppitz vom Völkerkundemuseum erhalten, sondern auch die tatkräftige Unterstützung der damaligen TV Uni. Ich konnte die Schnittplätze gratis benützen. Bei «Angry Monk» ist es anders. Der Film ist nicht aus der Uni heraus entstanden, aber er geht auf meine Auseinandersetzung mit Tibet zurück, die ich an der Uni in einem geschützten und intensiven Rahmen führen konnte. Neben Oppitz stand für mich die Gruppe um Professor Ueli Gyr und Dr. Hans-Ulrich Schlumpf von der Volkskunde im Zentrum. Sie bieten dort Seminare an, wie man den Film in die volkskundliche Wissenschaft einbinden kann. Vieles deutet darauf hin, dass man dem Film als kulturellem Produkt einen immer höheren Stellenwert beimisst. Anderseits wurde mir von einem Professor gesagt: Film ist Populärkultur, für die Plebs, für die, die Tram fahren. Das ist natürlich eine Katastrophe. Auch Populärkultur ist Kultur, die ebenso analysiert und ins wissenschaftliche Denken integriert werden kann und soll wie die Auseinandersetzung mit Kant und Hegel.