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Unbewusst aufgenommene Informationen beeinflussen das anschliessende bewusste Lernen gleicher Inhalte, haben Sie herausgefunden. Können Sie Ihre Erkenntnis anhand eines Beispiels veranschaulichen?
Katharina Henke: Nehmen wir doch unsere Experimente. Wir haben den Probanden ganz kurzein Gesicht präsentiert, zu dem ein Beruf, zum Beispiel Arzt, notiert war. Die Präsentation war zu kurz, als dass die Bilder bewusst hätten gesehen werden können. Dennoch haben die Probanden sowohl das Gesicht als auch den notierten Beruf unbewusst wahrgenommen und, miteinander verknüpft, im Gedächtnis abgespeichert. Anschliessend zeigten wir gut ersichtliche Präsentationen gleicher oder ähnlicher Gesicht-Beruf-Kombinationen für das bewusste Lernen und spätere Erinnern. Dabei fanden wir heraus, dass die unbewusst wahrgenommenen Gesicht-Beruf-Verknüpfungen das nachfolgende bewusste Lernen und Erinnern von Gesicht-Beruf-Kombinationen beeinträchtigte. Die Probanden in unseren Experimenten waren sehr gute Lerner, schlechte Lerner wurden ausgeschlossen. Es könnte deshalb sein, dass sich das bewusste Lernen in einem optimal funktionierenden Lernsystems nicht weiter steigern lässt durch unbewusste Reize, sondern durch diese eher behindert wird. Ob jedoch das unbewusste Lernen in Menschen mit schwachen Gedächtnisleistungen das nachfolgende bewusste Lernen verbessern kann, müssen wir erst noch herausfinden.
Das rasche Abspeichern von Bedeutungszusammenhängen ist essentiell für das spätere Erinnern von Szenen, haben Sie die Schlussfolgerung aus Ihren Experimenten gezogen. Inwiefern?
Das alltäglich Erlebte speichern wir ganz automatisch, ohne Anstrengung, von Moment zu Moment ab. Deswegen können wir später die erlebten Episoden erinnern und jemandem erzählen, obwohl wir uns beim Erleben nicht vorgenommen haben, uns etwas davon einzuprägen. Dieses Erinnern von erlebten Episoden ist nur deswegen möglich, weil wir rasch Bezüge, und nicht nur Einzelinformationen, von Moment zu Moment über den Hippokampus abspeichern können. Zum Beispiel erinnern wir, wer was wem zu welcher Zeit und an welchem Ort im Raum gegeben hat; wir erinnern also zeitliche, räumliche und Bedeutungsbezüge. Ohne Bezüge würden wir nur Einzelteile erinnern, keine Szenen. Gerade das Gedächtnis für erlebte Episoden ist im Alltag so wichtig. Wir konnten nun zeigen, dass dieses rasche Abspeichern von Bezügen auch dann gelingt, wenn das Erlebnis unbewusst war. Der Hippokampus war in unseren Experimenten sowohl beim bewussten als auch beim unbewussten Lernen von neuen Bezügen aktiviert. Bisher galt der Hippokampus aber als eine Gehirnstruktur, die beim Menschen nur das bewusste Lernen vermittelt.
Damit liefern Sie das Stichwort für meine nächste Frage: Inwiefern erweitern Ihre Erkenntnisse die gängigen Gedächtnistheorien?
Die gegenwärtig dominanten Gedächtnistheorien postulieren, dass das Von-Moment-zu-Moment-Lernen neuer Zusammenhänge oder Bezüge nur mit Bewusstsein möglich ist. Wir zeigten, dass es auch ohne Bewusstsein des Wahrgenommenen gelingen kann.
Weiter sehen diese Theorien nicht vor, dass der Hippokampus im Menschen unbewusstes Lernen vermittelt. Wir zeigten in bisher fünf Experimenten, dass der Hippokampus bei unbewusstem Lernen dann beteiligt ist, wenn das rasche Erfassen von Zusammenhängen gefragt ist.
Wenn der Hippokampus nicht nur beim bewussten Lernen und Erinnern eine Rolle spielt, sondern auch beim unbewussten – welche Konsequenzen hat diese biologische Erkenntnis?
Es bestand schon immer die Vermutung, dass wir einen grossen Teil des Erlebten nie zu Bewusstsein bekommen. Die Erkenntnis, dass rasches Abspeichern von Zusammenhängen auch ohne Bewusstsein über den Hippokampus und seine Funktion möglich ist, legt nahe, dass wir auch ganze Szenen unbewusst erfassen und abspeichern können. Damit ist zumindest ein erster empirischer Grundstein für die Annahme gelegt, dass wir über ein unbewusstes episodisches Gedächtnis verfügen.
Sie sind an der Abteilung für Psychiatrischen Forschung der Universität Zürich angestellt. Wie muss man sich die Forschungs-Settings vorstellen?
Die Abteilung für Psychiatrische Forschung integriert klinische Forschung mit neurobiologischer Grundlagenwissenschaft. Thematischer Schwerpunkt sind die Alzheimer-Krankheit und andere neurodegenerative Erkrankungen. Ziele der Forschungsarbeiten sind die Aufklärung von Krankheitsursachen und Pathomechanismen der Demenz, die Verbesserung der Früherkennung, die Identifizierung genetischer Risikofaktorenund die Entwicklung kausal orientierter Therapiemöglichkeiten. Zur klinischen Forschungseinheit gehört ein Forschungsambulatorium sowie eine Forschungs-Bettenstation für geriatrische Patienten.