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Wenn Töne schmecken

Professor Lutz Jäncke und seine Mitarbeiter vom Institut für Neuropsychologie der Universität Zürich haben am 3. März in «Nature» einen Artikel veröffentlicht, in dem sie einen ungewöhnlichen Fall von synästhetischer Musikwahrnehmung schildern. Im Interview spricht Jäncke über die Musikerin, die Töne schmecken kann und über die mediale Hochkonjunktur der Hirnforschung.
Das Interview führte Klaus Wassermann

Das Wahrnehmnungsphänomen der Synästhesie tritt bei einem von zweitausend Menschen auf. Diese sehen beim Anhören von Musik beispielsweise auch Farben - oder haben Geschmacksempfindungen, wie im Falle der neuen «Nature»-Publikation beschrieben.

unipublic: Herr Jäncke, was ist unter «synästhetischer Musikwahrnehmung» zu verstehen?

Professor Lutz Jäncke: Es handelt sich um ein Wahrnehmungsphänomen, das bei einemunter zweitausend Menschen auftritt. Diese Leute sehen beispielsweise beim Anhören von Musik auch Farben. Der Fall einer jungen Profimusikerin, den wir schildern, ist aber einzigartig: Nicht nur nimmt sie Musik als Farben wahr, sie hat bei bestimmten Tonintervallen wie bei Terzen und Quinten auch Geschmacksempfindungen.

So schmeckt sie beispielsweise Moll-Terzen als salzig, Dur-Terzen als süss und kleine Septimen als bitter. In einer eigens für sie entwickelten Versuchsanordnung konnten wir zeigen, dass diese Geschmacksunterscheidung für sie sehr verlässlich funktioniert. Das geht sogar soweit, dass sie die besondere Wahrnehmung von Tonintervallen in ihrem Berufsalltag als Musikerin anwendet.

Wie finden Sie Menschen mit so aussergewöhnlichen Fähigkeiten?

Da hilft uns oft der Zufall. In meiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftige ich mich schon seit über zehn Jahren mit Profimusikern. Musiker sind deswegen so interessant, weil sie schon früh in ihrer Kindheit eine komplexe Lernaufgabe meistern, nämlich die, ein Instrument zu spielen. Musikergehirne mit denen von Nichtmusikern zu vergleichen ist sehr aufschlussreich bezüglich der Frage, wie sehr sich unser Gehirn durch Lernen verändern kann.

Im konkreten Fall war Gian Beeli, ein Student von mir, für seine Lizentiatsarbeit über Ton-Farb-Synästhesie auf der Suche nach Profimusikern mit dieser Form von Wahrnehmung. Unter den Personen, die er letztlich als echte Synästheten identifizieren konnte, war auch die junge Musikerin, die berichtete, dass sie beim Musikhören zusätzlich zu Farben auch Geschmäcker wahrnehmen würde.

Die grosse Medienpräsenz der Hirnforschung ist für ihn nicht nur ein Segen: Prof. Lutz Jäncke vom Institut für Neuropsychologie der Universität Zürich.

In Ihrer Forschung befassen sie sich schon seit Jahren mit Musik. Spielen Sie selbst ein Instrument?

Nein, privat bin ich reiner Musikkonsument. Auf das Thema Musik bin ich durch meine Forschung gestossen. Gemeinsam mit meinem damaligen Forschungskollegen Gottfried Schlaug war ich in Mitte der Neunziger Jahre an der Frage interessiert, wie sehr sich das Gehirn durch Lernen plastisch verändert. Wir nahmen an, dass plastische Phänomene im Gehirn bei derart früh trainierten Menschen besonders ausgeprägt sein müssten. In unserer Veröffentlichung in «Science» 1995 konnten wir das auch zeigen. Damals erfuhren wir ein ähnlich hohes Medieninteresse wie bei der jetzigen Publikation.

Wie war denn die Reaktion auf Ihre jüngste Veröffentlichung in «Nature»?

Das Echo war überwältigend. Ich hatte schon seit zehn Jahren nicht mehr so viele Anrufe von Medienleuten. Gestern habe ich allein zwölf Live-Interviews für in- und ausländische Radiosender gegeben. Ich musste sogar aus Zeitgründen ein Interview für die BBC absagen, das für Mitternacht geplant war. Natürlich freue ich mich über soviel mediale Aufmerksamkeit, doch eine derartige Flut von Anfragen zu beantworten ist auch sehr energie- und zeitraubend. Glücklicherweise waren die meisten Berichte, die zu unserer neuen Arbeit erschienen sind, von sehr guter Qualität.

Was halten Sie allgemein vonder grossen Medienpräsenz, die die Hirnforschung derzeit geniesst?

Das Ganze hat für mich zwei Seiten. Zum einen hilft das natürlich meiner Wissenschaft in der öffentlichen Wahrnehmung und bei der Finanzierung neuer Forschungsprojekte. Es sind aber auch Probleme damit verbunden. So wird beispielsweise heute auch alte Forschung in neuem Gewand verkauft. Die menschliche Psyche zu verstehen, das war immer schon ein schwieriges Problem. Heute, da man mit den neuen bildgebenden Methoden regelrecht ins lebendige und arbeitende Gehirn hineinschauen kann, sind vor allem wissenschaftliche Laien dazu verleitet, in der Hirnforschung eine Art neue Religion zu sehen, die mitphysikalischen Messverfahren die Seele des Menschen ergründen kann. Solche Hoffnungen werden die Neurowissenschaften aber nicht erfüllen können.

Wird es in Zukunft dennoch neue Quantensprünge in der Hirnforschung geben?

Ich denke schon. Es gibt heute eine Reihe von vielversprechenden Entwicklungen, nur finden diese eher im Verborgenen statt. So wird das bessere Verständnis von Hirnprozessen zu neuen verhaltenstherapeutischen Ansätzen führen. Auch im pharmakologischen und genetischen Bereich werden beispielsweise neue Formen der Kognitions-Rehabilitation entstehen. Und nicht zuletzt wird durch die Umsetzung von Forschungsergebnissen in technische Anwendungen die Entwicklung von Neuroprothesen vorangetrieben, zum Beispiel für blinde oder gelähmte Patienten.