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Ein anspruchsvolles Forschungsprojekt ist es, das sich Andreas Mauz ausgesucht hat. Er wendet sich in seiner Dissertation Texten zu, die den Anspruch erheben, «heilig» zu sein. Und da wären wir auch schon beim Problem, das Mauz untersucht: Worin unterscheiden sich diese Schriften von anderen?Wiegrenzen sich «heilige» von «profanen» Texten ab? Eine Antwort wäre: Sie unterscheiden sich nicht, sie werden unterschieden, nämlich durch ihre unterschiedliche Verwendung. Sowird ein Bibeltext zum Beispiel in gottesdienstlichen Zusammenhängen gebraucht, und dieser praktische Kontext ist es, der seine «Heiligkeit» konstituiert.
Andreas Mauz gibt sich mit einer solchen Antwort nicht zufrieden. Dafür fasziniert ihn die konkrete Gestalt der Texte zu sehr. Er will wissen, wie sich der Anspruch auf Heiligkeit ganz konkret im Text zeigt: Welche rhetorischen und erzählerischen Strategien werden angewendet, welche Vorbilder imitiert? Es ist die handwerkliche Dimension «heiliger» Texte, ihre Machart, die Mauz interessiert. Nicht umsonst lautet der Untertitel des Projekts «Theologisch-literaturwissenschaftliche Studien zur Poietik des 'heiligen Textes'». Ziel ist es, ein Repertoire von «Figuren» sichtbar zu machen, derer sich «heilige Texte» – beziehungsweise deren Autorinnen und Autoren – bedienen.
Dass Mauz seine Dissertation interdisziplinär angelegt hat, ist angesichts seines akademischen Werdegangs wenig erstaunlich. Er hat in Basel und Tübingen Germanistik im Haupt- und Theologie im Nebenfach studiert und sich in seiner Lizentiatsarbeit der «Familienähnlichkeit» von Gebet und Gedicht angenommen. Von rigiden Einteilungen und Abgrenzungen hält er wenig. Eine Pointe seines Dissertationsprojekts sieht er gerade darin, dass es die etablierten disziplinären Zuständigkeiten hinter sich lässt: Hier die «heiligen Texte» wie Bibel und Koran, dort «profane» Werke der Dichtkunst; hier Theologie, dort Literaturwissenschaft.
Thematisch und methodisch liegt Mauz' Projekt quer zu solch starren Alternativen. Er untersucht Werke, die einerseits als «profan-literarische» gelten müssten, die aber einen unverhohlenen Anspruch auf «Heiligkeit» erheben, etwa das Versepos «Der Messias» von Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) oder der «Kühlpsalter» des lutherischen Mystikers Quirinus Kuhlmann (1651-1689). Neben solch «literarischen» Werken, die mehr sein wollen als bloss profane Literatur, befasst sich Mauz aber auch mit Texten aus der Bibel. Sie ist der «heilige Text» des Abendlands, und es sind vor allem ihre Strategien der Selbstdarstellung, die massgeblich wurden und in vielfältiger Weise in die «profane» Literatur Eingang gefunden haben.
Wird am Ende seiner Arbeit eine Art wissenschaftliche Gebrauchsanweisung zum Verfassen eines «heiligen Textes» stehen? Andreas Mauz lächelt. Er kennt die Frage, die ihm auch schon mit höhnischem Unterton gestellt wurde, und ist um eine Antwort nicht verlegen: «Natürlich nicht. Ich möchte mit meiner Arbeit einen Beitrag zum Dialog von Theologie und Literaturwissenschaft leisten, indem ich mit der Akzentuierung der materialen Dimension 'heiliger Texte' einen Aspekt untersuche, der bisher in derForschung wenig Beachtung fand. Es geht um die Neuperspektivierung eines klassischen theologischen Problems – der Autorität der Schrift – mit literaturwissenschaftlichen Mitteln; und dies eben auch anhand eines Textkorpus, der theologischerseits kaum zur Kenntnis genommen wird.»
Warum geht er seinen Forschungen ausgerechnet in Zürich nach? Ein wichtiger Grund ist sicherlich, dass er hier auf seinen Grenzgängen zwischen Theologie und Literaturwissenschaft kompetente Begleiter zur Seite hat. Pierre Bühler, Professor für Systematische Theologie und einer der beiden Betreuer des Projekts, ist selbst ein namhafter Vertreter des Dialogs von Theologie und Literaturwissenschaft und mit Dürrenmatt genau so vertraut wie mit Kierkegaard. Auch der Privatdozent Jan Bauke, der sich in seiner Habilitationsschrift «Theologische Poetik und literarische Theologie» jüngst Gegenwartsautoren wie Handke und Updike angenommen hat, ist eine profilierte Stimme in diesem interdiszplinären Gespräch. Zürich scheint ein gutes Pflaster zu sein für solche Ausflüge ins Grenzland zwischen profanen und heiligen Texten. Andreas Mauz fühlt sich wohl in diesem Kreis, und er betont, dass das Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie mit seinen interdisziplinären Gesprächspartnern eine ideale Umgebung für sein Projekt darstelle. Hermeneutik – die Kunst der Auslegung – ist seit jeher ein Disziplinen übergreifendes Geschäft.
Zu dieser institutionellen Unterstützung gehört auch die Finanzierung durch den Forschungskredit der Universität Zürich. Sie ermöglicht es Mauz, sein Projekt in dennächsten zwei Jahren mit einer gewissen Unabhängigkeit zu verfolgen. Er hofft, in dieser Zeit die Ergebnisse seiner Forschungen zu Papier bringen zu können. Einen Anspruch auf «Heiligkeit» erhebt er dabei nicht.