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Um sein Projekt zu erklären, nimmt Dr. Daniel Zimprich ein weisses Blatt Papier und zeichnet eine Kurve: Auf der linken Seite beginnend zieht er seinen Bleistift steil nach oben und flacht dabei seinen Strich immermehr in die Horizontale nach rechts ab. «Dies ist eine typische Lernkurve», sagt der Psychologe. «Beim ersten Durchgang merkt man sich am meisten, nachher immer weniger. Ob Wörter, Bilder oder Zahlen – der Verlauf gilt praktisch immer, egal was man lernt.»
Zimprich ist seit gut zwei Jahren Postdoc an der Universität Zürich. Er hat in Heidelberg Psychologie studiert und kam schon früh in Kontakt mit der Gerontopsychologie: Bereits während des Studiums war er als Hilfskraft am Institut für Gerontologie am Deutschen Zentrum für Alternsforschung tätig. In Zürich will er nun habilitieren – Teil davon ist auch sein aktuelles Projekt, das der Forschungskredit der Universität Zürich unterstützt.
Der Gegenstand seines Forschungsvorhabens, die Lernkurve, ist eigentlich nichts Neues: Sie geht auf den Psychologen Hermann Ebbinghaus zurück, der diesen Begriff Ende des 19. Jahrhunderts einführte. Doch während bislang die Kurve immer nur im Mittelwert betrachtet wurde, will Zimprich nun neu auch individuelle Verläufe bestimmen.
Drei unterschiedliche Parameter beschreiben die Kurve: das Ausgangsniveau, der Endzustand sowie wie schnell man dorthin gelangt – also die Lernrate. Neben individuellen Unterschieden gibt es darauf verschiedene Einflüsse, die der Gerontopsychologe nun genauer untersuchen will. Von einigen hat man bereits eine Ahnung. So würden beispielsweise alte Menschen weniger schnell lernen, erläutert Zimprich. Dennoch erreichten sie den gleichen Endzustand wie früher, wenn man sie genügend lange lernen lässt. Andere mögliche Einflussfaktoren sind die Bildung oder das Geschlecht.
Um die individuellen Lernkurven zu bestimmen, hat sich Zimprich für das Lernen von Wortpaaren entschieden. Die Versuchsanordnung ist denkbar einfach: Auf einem Computerbildschirm erscheint der Reihe nach eine Anzahl Wortpaare – zum Beispiel «Ozean» und «Baum». Anschliessend kontrolliert der Computer, was behalten wurde. Dabei erscheint nur das eine Wort («Ozean») und die Versuchsperson muss den zugehörigen Begriff («Baum») eingeben.
Die objektiv messbare Lernkurve ist jedoch nur ein Teil des Projekts von Zimprich: «Beim Lernen muss immer wieder entschieden werden, welche Teile des zu lernenden Materials nochmals geübt werden sollen. Deshalb untersuchen wir auch die Selbsteinschätzung der Lernenden», erklärt Zimprich. Diese Selbsteinschätzung ist erstaunlich ungenau. Vor allem in der Anfangsphase besteht eine Tendenz, seine Fähigkeiten zu überschätzen – die Selbsteinschätzungkurve liegt dann über der Lernkurve. Das ändert sich jedoch schnell: Nach ein, zwei Durchgängen, kommt die subjektive unter der objektiven Lernkurve zu liegen.
«Aus früheren Untersuchungen weiss man, dass die Selbsteinschätzung wenig mit der tatsächlichen Leistung zu tun hat», sagt Zimprich. Das leuchtet auch ein, denn wer kennt schon seine tatsächliche Leistung? ImAlltag sind genaue Lernkontrollen eher selten. Deshalb seien es unter anderem persönliche Faktoren, die die Selbsteinschätzung der Lernleistung beeinflussen, erwähnt Zimprich.
«Wer zum Beispiel in schlechter Stimmung ist, wird seine Lernleistung tendenziell schlechter einschätzen», so der Forscher. Im Alter hingegen steigt der Hang zur Selbstüberschätzung der Lernfähigkeit – die Gründe hierfür sind unbekannt.
«Zur Zeit ist das Gedächtnistraining für Ältere in Mode», sagt Zimprich. Er will herausfinden, welche Bedeutung die Selbsteinschätzung für die Lernleistung hat. Dies hängt auch davon ab, wann danach gefragt wird. Kommt die Frage gleich nachdem ein Wortpaar präsentiert wurde, dann ist die Einschätzung ungenauer, als wenn fünf oder mehr Minuten verstrichen sind.
«Das hängt damit zusammen, ob die Information im Arbeitsgedächtnis oder Langzeitgedächtnis gespeichert wurde», erklärt Zimprich. Bereits nach wenigen Minuten ist ein Teil der Information, die behalten werden soll, ins Langzeitgedächtnis übergetreten. Dann können Versuchspersonen besser einschätzen, ob sie ein gelerntes Wort auch 20 Minuten später noch wissen.
Möglich wird das Projekt von Zimprich nur dank der Unterstützung durch den Forschungskredit der Universität Zürich. «Im Gegensatz zum Nationalfonds ermöglicht der Forschungskredit auch kleinere Projekte von Nachwuchsforschern», so Zimprich. Zudem sei die Bewilligung der Finanzierung eines Projekts bereits eine Anerkennung, die sich auch im Lebenslauf eines Forschers gut macht.
Das Projekt startet im Frühjahr 2005 mit der Suche nach Versuchspersonen: Zimprich benötigt rund 75 alte Menschen und 75 Studenten, die freiwillig gegen eine Entschädigung mitmachen. «Das Ganze dauert höchstens eine halbe Stunde», versichert Zimprich. Und verspricht spannende Ergebnisse für den nächsten Herbst.